„Sweeney Todd“ (Foto: Dominik Lapp
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Gruselschocker mit Unterhaltungswert: „Sweeney Todd“ in Dresden

An der Staatsoperette Dresden wird das Musical „Sweeney Todd“ gezeigt als eine Verbindung von düsterem Schrecken und zeitgenössischer Raffinesse, die das Publikum in eine faszinierende Welt Londons entführt. Unter der präzisen musikalischen Leitung von Peter Christian Feigel und der einfallsreichen Regie von Martin G. Berger wird die Geschichte von Stephen Sondheim (Musik und Songtexte) und Hugh Wheeler (Buch) in der gelungenen deutschen Fassung von Wilfried Steiner und Roman Hinze zu einem überwältigenden Abend.

Das Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl schafft eine visuell beeindruckende Kulisse. Die fahrbaren Gitterelemente im vorderen Bereich, die dunkle Gestalten aus einem Loch emporheben, setzen den Ton für das bedrückende Ambiente. Der überdimensionale Ring im hinteren Bereich, in dessen Inneren das Orchester sichtbar für das Publikum sitzt, bildet die perfekte Visualisierung für die sozialen Unterschiede, die im London des 19. Jahrhunderts – das der Regisseur allerdings in die Gegenwart transferiert – herrschen.

Das passt vor allem deshalb sehr gut, weil Sondheim in seinem Werk London als „great black pit“ bezeichnet – eine schwarze Grube also, bei der oben wenige reiche Menschen sitzen und unten die ausgebeuteten Kreaturen hausen. Die Milieus sind klar abgegrenzt: Die einen kriechen aus dem schwarzen Loch hervor, die anderen befinden sich dahinter in einer vergoldeten Welt, die mit dem Orchester ausgestattet ist. In Sweeney Todds Barbiersalon gibt es zudem eine gläserne Kabine, die einen voyeuristischen Blick auf die Mordopfer des blutrünstigen Barbiers gewährt.

„Sweeney Todd“ (Foto: Dominik Lapp

Die Kostüme von Alexander Djurkov Hotter tragen maßgeblich zur Inszenierung bei. Die hellen Farben der reichen Bürgerinnen und Bürger stehen im starken Kontrast zu den grauen Gewändern des übrigen Ensembles, wodurch die soziale Kluft deutlich wird. Die bewusste Entscheidung, Mrs. Lovett in Pink hervorstechen zu lassen, verleiht ihrer Figur zusätzliche Exzentrik. Die Szene von Barbier Pirelli und seinem Assistenten Tobias, die ebenfalls in Pink gekleidet sind, unterstreicht nicht nur den humorvollen Aspekt der Inszenierung, sondern hebt auch die Skurrilität der Figuren hervor.

Die Inszenierung von Martin G. Berger, der die Handlung ins Hier und Jetzt transferiert, verleiht dem Stück eine frische Perspektive. Die Verwendung einer Live-Kamera, die Berger gern verwendet (wie zuletzt bei „Kasimir und Karoline“ an der Staatsoper Hannover) und bei „Sweeney Todd“ die Szenen auf eine rückwärtige Gitterwand projiziert (Videodesign: Lukas Marian), eröffnet eine neue Dimension. Besonders hervorzuheben ist dabei die amüsante Teleshopping-Sequenz zu Pirellis Haarwuchsmittel.

Die Titelrolle wird von Hinrich Horn brillant verkörpert, da er die Figur perfekt verinnerlicht hat. Von Anfang an wird sein Sweeney von Rachegedanken und der Trauer über den Verlust seiner Frau und Tochter angetrieben. Horn gelingt es überzeugend und authentisch, die emotionale Leere darzustellen, nachdem Sweeney alles verloren hat, was ihm einst bedeutend war. Darüber hinaus beweist er auch mit seiner klassisch geschulten Stimme, dass er der anspruchsvollen Partie in jeder Hinsicht gewachsen ist.

„Sweeney Todd“ (Foto: Dominik Lapp

Ihm zur Seite steht mit Stefanie Dietrich eine Mrs. Lovett, die optisch ein großartiges Abziehbild von Vicky Pollard aus der britischen Sktech-Show „Little Britain“ ist. Mit einem wunderbaren Hang zum Humor gibt sie die Pastetenbäckerin und lässt dabei schauspielerisch wie gesanglich keinerlei Wünsche offen.

Gero Wendorff verleiht dem Seemann Anthony eine jugendliche Präsenz und beeindruckt mit seiner strahlenden Stimme. Bemerkenswert ist sein harmonisches Zusammenspiel mit Charlotte Watzlawik, deren glockenklarer Gesang bestens zur Rolle der unschuldig-jungen Johanna passt. Riccardo Romeo gibt einen loyalen Tobias, Timo Schabel als Pirelli einen herrlichen Fake-Italo-Barbier und Dimitra Kalaitzi eine geheimnisvolle Bettlerin. Weiter sind Elmar Andree (Richter Turpin) und Dietrich Seydlitz (Büttel Bamford) ein starkes Antagonisten-Duo. Für einen Augenblick des Ekels sorgt Andree schließlich, als Turpin seine Ziehtochter Johanna besingt, während er eine Hand in seine Hose wandern lässt.

Die musikalische Umsetzung der komplexen Partitur von Stephen Sondheim durch Peter Christian Feigel und das fabelhafte Orchester der Staatsoperette Dresden ist eine klangliche Meisterleistung. Die nahezu durchkomponierte Musik mit eindrucksvoller Orgel und tiefen Bläsern, die kaum Platz für Dialoge lässt, verleiht dem Musical eine orchestrale Pracht.

Insgesamt ist es in Dresden sehr gut gelungen, die düstere, blutige Welt von „Sweeney Todd“ mit zeitgemäßen Elementen zu verbinden. Das Stück ist einerseits ein Gruselschocker, bietet andererseits aber auch großen Unterhaltungswert, so dass sich die Momente abwechseln, in denen einem zuerst ein kalter Schauer über den Rücken jagt und man gleich darauf wieder lachen oder schmunzeln muss.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".