„Der Stadtbrand“ (Foto: Kronenberg | Schlossfestspiele Biedenkopf)
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Gelungene Uraufführung: „Der Stadtbrand“ in Biedenkopf

Bedrohlich lodern Flammen vor den Fachwerkhäusern im Hintergrund auf. Die Bühne ist in rotes Licht getaucht. Unheilvoller Rauch wabert über den Boden. Man hört knisterndes Feuer, berstendes Holz. Menschen laufen panisch umher, rufen nach ihren Angehörigen. Mitten in diesem Inferno schließt sich der Kreis um ein Liebespaar, das nicht erkannt werden darf. „Behüte Dein Geheimnis, bevor es in Flammen aufgeht“, warnt der Chor, während am Bühnenrand echte Feuersäulen in die Höhe schießen.

Der verheerende Brand von 1717, bei dem fast die gesamte Stadt zerstört wurde, bildet die Rahmenhandlung des neuen Musicals „Der Stadtbrand“ der Schlossfestspiele Biedenkopf. Autor, Komponist und Regisseur Paul Graham Brown verbindet dabei den historischen Stoff mit einer bewegenden Geschichte um alte Geheimnisse und neue Hoffnungen mit überraschenden Wendungen und vielschichtigen Charakteren, die Motive aus Christoph Kaisers Theaterstück „Dreimal ein Phoenix“ aufgreift. Dennoch ist die Handlung zeitlos und könnte auch an jedem anderen Ort spielen. Im Mittelpunkt stehen die Familien des armen Tagelöhners Hannes Kirch und des reichen jüdischen Geldverleihers Anschel Eichenbaum, deren Schicksale sich im weiteren Verlauf immer mehr miteinander verknüpfen. Dabei spielen nicht nur ihre beiden heiratsfähigen Töchter Anna und Miriam eine Rolle, sondern auch Hannes‘ Frau Katharina. Jede der Figuren versucht, etwas zu verbergen, was zu Gerüchten, Vorurteilen, falschen Vorwürfen und einem tragischen Todesfall führt, als es darum geht, einen Schuldigen für die Brandkatastrophe zu ermitteln. Am Ende sehen alle hoffnungsvoll in die Zukunft und finden ihr Glück – wenn auch auf andere, unerwartete Weise.

Dabei kommt die Produktion mit einem minimalen Bühnenbild und wenigen Requisiten aus. Die Fachwerkhäuser der Stadt werden lediglich durch eine bewegliche Konstruktion aus Fensterrahmen angedeutet, die nach dem Brand in sich zusammenfällt. Mehr braucht es jedoch auch nicht, denn originelle Licht- und Toneffekte genügen, um eine spannende Atmosphäre zu erzeugen. Wenn Anna mit einer Laterne in der Hand über die Bühne schleicht und im Hintergrund Geräusche wie tropfendes Wasser, knarrendes Holz und herabfallende Lichtkegel den drohenden Einsturz des Kellers ankündigen, hält man schon mal die Luft an. Auch kann man sich lebhaft die Szene am Fluss vorstellen, wenn blau angestrahltes Tuch über die Bühne flirrt, man das Wasser plätschern und Grillen zirpen hört. Verschiedene Lichtstimmungen veranschaulichen außerdem die Gefühle der Personen füreinander. Kaltweißes Licht verstärkt eine Auseinandersetzung zwischen Hannes und Katharina, während beim Picknick mit Miriam warmes, gelbes Licht die Bühne erhellt.

Paul Graham Brown lässt das Ensemble von allen Seiten der Bühne auftreten, den Zuschauerraum und sogar die Zeltstange in der Mitte vom Bühnenrand bespielen. Dadurch entstehen lebendige Ensemblebilder wie die bunte Jahrmarktszene, deren ausgelassene Tanzszenen immer wieder durch kurze Dialoge unterbrochen werden. Schnelle Übergänge garantieren, dass die Inszenierung keine Längen aufweist. Oft ist nur die eine Hälfte der Bühne bespielt, während die vorherige Szene auf der anderen Seite einfriert und ausgeblendet wird.

Die Kostüme passen nicht nur zur historischen Handlung, sondern tragen auch zur Charakterisierung der Figuren bei. So sind die Kleider des Obsthändlerpaars aus dem Nachbarort, das sich für etwas Besseres hält, aus auffälligeren, glänzenderen Stoffen als die schlichten Gewänder der Biedenkopfer. Auf Perücken wird fast gänzlich verzichtet, moderne Frisuren zumeist mit Hauben, Tüchern und Hüten verdeckt. Die Kostüme nach dem Feuer mit Brandflecken und -löchern zu versehen, war sichtlich keine leichte Aufgabe.

Paul Graham Browns Musik zu „Der Stadtbrand“ ist abwechslungsreich, die Songs erfrischend kurz. In Erinnerung bleiben aufwühlende Chornummern wie „Geheimnisse“, das an „Mörder“ aus „Jekyll & Hyde“ erinnert, rührende Liebesduette wie Hannes‘ und Miriams „Sehe ich dich an“ und zu Herzen gehende Balladen wie Anschels und Hannes‘ Duett „Grenzenlos“, das auch mit großem Orchester wunderschön klingen würde. Für einen humorvollen Moment sorgt Anschels gut gemeinte Warnung an seine Tochter Miriam „Liebe wird dir Ärger bringen“, die mit ihren jiddischen Anleihen auch aus „Anatevka“ stammen könnte. Überhaupt sind alle Musikstücke der Band, die sichtbar neben der Bühne platziert ist, durch den Klang von Holzblasinstrumenten geprägt. Sobald Anschel oder der Rabbie auftreten, dürfen natürlich klezmerartige Klarinettenklänge nicht fehlen. Vor allem das Saxophon entwickelt oft schöne Melodien – für ein historisches Stück aus dem 18. Jahrhundert eine eher ungewöhnliche Instrumentierung.

„Der Stadtbrand“ (Foto: Kronenberg | Schlossfestspiele Biedenkopf)

Die Kombination von professionellen Darstellerinnen und Darstellern und Laien ist ein Wagnis, das bei den Schlossfestspielen Biedenkopf größtenteils erstaunlich gut gelingt. Musiker und Sänger Stefan Briel hatte zuvor keine Schauspielerfahrung, stellt den sorgenden Familienvater Hannes Kirch, der zwischen Loyalität gegenüber seiner Frau Katharina und seiner großen Liebe schwankt, aber so natürlich dar, dass man im Zusammenspiel mit seinen Bühnenpartnerinnen und -partnern merkt, mit welch beachtlicher Leistung er sich auch stimmlich in die Rolle eingefunden hat.

Harald Tauber lässt als jüdischer Geldverleiher Anschel Eichenbaum sowohl schauspielerisch als auch gesanglich keine Zweifel an seiner langjährigen Bühnenerfahrung. Seine außergewöhnlich klangvolle Stimme unterstreicht seine sympathische Art. Die Vaterrolle kauft man ihm genau so leicht ab, wie das souveräne Auftreten in geschäftlichen Dingen und die beiläufig eingestreuten jiddischen Ausdrücke. Ein vielschichtiger Charakter, der ihm auch emotional einiges abverlangt. Wenn er zuletzt Schuld auf sich nimmt, um seine Lieben zu schützen, ist das eine der bewegendsten Szenen im ganzen Stück.

Hannes‘ und Anschels Töchter Anna und Miriam werden von den beiden ausgebildeten Musicaldarstellerinnen Lisa Gärtner und Lorena Dehmelt sehr gegensätzlich dargestellt: Während Anna lebenshungrig und draufgängerisch ist, genau weiß, was sie will, und auch gerne mal die Pfeife ihres Vaters raucht – was Lisa Gärtner sehr überzeugend spielt – ist Lorena Dehmelt als Miriam eher zurückhaltend und unsicher, was ihre Gefühle angeht, dabei aber warmherzig und freundlich. Das spiegelt sich auch musikalisch wider: Lisa Gärtner hat die schnelleren, rhythmischen Stücke und singt mit klarer Stimme, während Lorena Dehmelt ihre eher lyrischen Songs mit weicherem Timbre interpretiert.

Doch nicht nur die Hauptfiguren sind ideal besetzt, auch für die Nebenrollen hat Regisseur Paul Graham Brown passende Leute gefunden, die aus ihren Figuren lebendige, originelle und glaubwürdige Charaktere machen. Zu erwähnen sind hier etwa Bettina Kirsten als Hannes‘ geistig verwirrte Frau Katharina, David Schroeder als überheblicher Darmstädter Beamter, Ralf Kuntscher als gutmütiger Schultheiß und vor allem Carlotta Bach als Magd Gretl, die nicht nur mutig und schlagfertig ist, sondern auch mit einem starken Gesangssolo beeindruckt. Nicht zuletzt sei der Chor genannt, der auch in den großen Ensembleszenen mit viel Spielfreude und homogenem Gesang überzeugt.

Nachdem die Uraufführung von „Der Stadtbrand“ coronabedingt erst in diesem Jahr stattfinden konnte, wird das Stück umso begeisterter vom Publikum aufgenommen, das die Leistung aller Mitwirkenden bei der Premiere mit langem Beifall und Standing Ovations würdigte. Die Aufführungen vom Innenhof des Landgrafenschlosses in ein eigens dafür errichtetes Palastzelt zu verlegen, erweist sich als sinnvolle Entscheidung: Solch aufwendige Bühnenkonstruktion und technisches Equipment kennt man sonst nur von großen Stadionkonzerten. Schade, dass für dieses Jahr nur fünf Vorstellungen geplant sind. Den Schlossfestspielen Biedenkopf, auf deren Bühne zuvor bereits weitere namhafte Künstlerinnen und Künstler wie Yngve Gasoy-Romdal, Sanni Luis, Karsten Kenzel oder Christian Theodoridis zu sehen waren, bleibt zu wünschen, dass sie sich künftig als feste Größe unter den Sommerfestspielstätten etablieren – ein ambitioniertes Projekt, das auch überregional mehr Aufmerksamkeit verdient.

Text: Yvonne Drescher

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Yvonne Drescher ist studierte Musik-, Sprach- und Literaturwissenschaftlerin sowie Kulturmanagerin. Während ihres Studiums hat sie als freie Mitarbeiterin im Kulturbereich für Magazine und Zeitungen geschrieben und anschließend in der PR-Abteilung eines Tourneeveranstalters gearbeitet. Als Laiendarstellerin, Musikerin oder Regieassistentin war sie selbst schon an zahlreichen Musiktheaterproduktionen beteiligt.