„Schmidts Ritz“ (Foto: Morris Mac Matzen)
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Genug vom Guten und Lust auf mehr: „Schmidts Ritz“ in Hamburg

Epoche und Stoff der neuen Musicalproduktion „Schmidts Ritz“ (Künstlerische Konzeption und Komposition: Martin Lingnau) im Hamburger Schmidt Theater sind mit Bedacht gewählt. Wir springen in der Zeit um 100 Jahre zurück, mitten hinein ins Varieté. Ganz wortwörtlich, denn Hausherr Corny Littmann hat umbauen lassen. Von der ornamentalen Vertäfelung bis hin zu den extravaganten Roben der Servicekräfte (Kostüme: Frank Kuder und Norman Heidrich) passt einfach alles, sogar die der Pandemie geschuldeten Trenngläser fügen sich auf wundersame Weise ins Gesamtbild (Saalgestaltung: Michaela Heinz-Kalischefski).

Würde nun noch Champagner mit einer rauchigen Note gereicht, man wähnte sich eher in einem der lauschigen Séparées des Pariser Lido denn auf der Reeperbahn. Kein Zweifel: An diesem Abend werden mit ganz großer Geste die goldenen 1920er Jahre beschworen. Kaum eine andere Ära wäre besser geeignet, den Appetit auf (Klein-)Kunst und Kultur zu stillen, den man sich im Falle das Hamburger Schmidt Theaters sieben Monate verkneifen musste. Und der entsprechend schon kein Appetit mehr ist, sondern (Heiß-)Hunger. Wird er gestillt?

Schon der Untertitel „Die sensationelle Sensationsschau“ – den zu wählen ob seiner augenzwinkernden Überheblichkeit in Deutschland überhaupt nur zwei Institutionen berechtigt sind, „Die Ärzte“ und eben das Schmidt Theater – macht überdeutlich, worum es geht: mehr Show, weniger Stück. Das ist aus gleich zwei Gründen klug. Einerseits, weil herkömmliche Hausproduktionen mit bis zu acht Darstellenden aufgrund der Hygienebestimmungen derzeit kaum umsetzbar wären, andererseits, weil jedes Ensemblemitglied seine Stärken voll ausspielen kann, ohne in ein zu rigides dramaturgisches Korsett gezwängt zu werden – zumal Familienkonstellation und -konstitution des Schmidt-Dauerbrenners „Die Königs vom Kiez“ quasi als Subtext ohnehin fortwährend mitlaufen.

Götz Fuhrmann gibt den launigen Conférencier, der sich im Laufe der Vorstellung alles schöntrinken kann – bis auf seine Frau (Carolin Spieß). Die kann zwar kein Glas zersingen, trotzdem kommt, wortwörtlich, niemand an ihr vorbei: Auf ihre Rundungen legt sie schließlich Wert. Elena Zvirbulis tritt als selbsternanntes Medium gewohnt spleenig in Erscheinung, Veit Schäfermeier steht dem – quasi als „doppelter Lothar“, als Zwillingsbrüder-Gespann also – in nichts nach.

„Schmidts Ritz“ (Foto: Morris Mac Matzen)

Am besten funktioniert die Familie mithin immer dann, wenn sie von der Leine gelassen wird – sei es, weil die Regie (Corny Littmann) ihr freie Hand gibt, sei es, weil Unvorhergesehenes passiert. Aller magischen Momente – und die gibt es dank der Beratung durch Chaos-Comedian Konrad Stöckel zuhauf – zum Trotz: Wirklich zauberhaft wird Theater ja oft gerade dann, wenn es seine Tricks, ob nun bewusst oder unfreiwillig, verrät. Die Magnete mögen etwa den stärksten Mann der Welt bei seiner Vorführung im entscheidenden Moment im Stich lassen – dafür beweist Götz Fuhrmann seine geradezu magnetische Improvisationskunst. Und ebenso entfacht Zvirbulis die Sympathien des Publikums vollends aufgrund eines fehlerhaften Feuerzeugs.

Der ob seines Könnens schon fast unheimliche Star des Abends jedoch ist Jeton, der als Jongleur in erster Linie mit dem Fassungsvermögen der Premierengäste jongliert. Und Peter Pooschke vereint derart viele politisch unkorrekte Zoten auf respektive gegen sich, man könnte meinen, es hätte das Hin und Her um Lisa Eckhardts Auf- beziehungsweise Austritt beim Harbour Front Literaturfestival, immerhin gleich um die Ecke, als hätte es die anschließende und anhaltende Diskussion um eine „Cancel Culture“ nicht gegeben. Hier im Schmidt darf man das halt. Vor allem weiß jeder, warum. Und das ist auch gut so.

Nicht ganz so gut oder die hohen Erwartungen eher enttäuschend: die Songtexte von Heiko Wohlgemuth und Frank Ramond. Wenn man sie denn versteht, denn auch in technischer Hinsicht werden die Jungs am Tonpult in Zukunft bestimmt noch das Tüpfelchen aufs i setzen. Aber bei diesen Namen liegt die Messlatte inzwischen einfach auf Rekordhöhe. Da kann man mal locker drunter wegtauchen und trotzdem erste Liga bleiben. Apropos: In der Gesamtschau betrachtet, bleibt ein Abend, der macht, was er soll und der hält, was er verspricht – durchweg Unterhaltung auf hohem Niveau in stilvollem Ambiente. Danke, Schmidt! Wir sind satt. Und dürsten nach mehr.

Text: Jan Hendrik Buchholz

Jan Hendrik Buchholz ist studierter Theaterwissenschaftler, Germanist sowie Publizist und lässt in verschiedenen Ensembles und als Solokünstler seit 1992 von sich hören, vorzugsweise eigenes Material. Als Rezensent schrieb er für das Onlinemagazin thatsMusical und die Fachzeitschrift "musicals". Zweieinhalb Jahre lang war er zudem Dramaturg sowie Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Allee Theater Hamburg, anschließend Leiter der Kommunikationsabteilung der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen.