„Robin Hood“ (Foto: Quasi So Theater)
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Gute Unterhaltung: „Robin Hood – Für Liebe und Gerechtigkeit“ in Ibbenbüren

Das Musical „Robin Hood – Für Liebe und Gerechtigkeit“ (nicht zu verwechseln mit „Robin Hood“ von Dennis Martin und Chris de Burgh) wurde 2005 mit namhaften Darstellerinnen und Darstellern aus Musical, Film und Fernsehen, darunter Ethan Freeman, Jesper Tydén, Daniela Ziegler, Günther Kaufmann und Mathieu Carrière, in Bremen uraufgeführt. Warum konnte es die Kritiker damals nicht überzeugen? Das Quasi So Theater in der Schauburg Ibbenbüren hat sich der Geschichte noch einmal angenommen.

Die Handlung erzählt die Legende eher konventionell und nahezu ohne überraschende Wendungen: Englands König Richard Löwenherz wird im Jahr 1194 auf dem Rückweg seines Kreuzzuges nach Jerusalem von Leopold V. in Österreich gefangen genommen. Der junge Ritter Robin von Locksley soll Richards schwächlichem Bruder Prinz John die Lösegeldforderung überbringen. Dabei kommt es zum Eklat mit dessen machthungriger Frau Lady Isabelle und dem grausamen Sheriff von Nottingham.

Daraus könnte sich ein spannendes Abenteuer entwickeln, doch das Buch (Hans Holzbecher, Andrea Friedrichs) strauchelt immer wieder daran, dass es nicht die richtige Balance zwischen Drama und Komödie findet. Vor allem die Geächteten kann man von Anfang an nicht so recht ernstnehmen. Als „tollkühne Ritter von Sherwood Forest“ stellen sie sich mit einer Revue-Tanznummer inklusive angedeutetem Zylinder und Kickline vor und wirken dadurch eher lächerlich, wie parodiert.

Sämtliche Charaktere bleiben eindimensional und entwickeln sich nicht. Darüber hinaus dienen einige Songs und Tanzszenen nur der Unterhaltung und tragen nichts zur Handlung bei oder wirken irgendwie fehl am Platz, der Zofe Amelias mitleidige Klage „Sie kamen mit dem Wind“ nach dem Überfall des Sheriffs auf Locksley Castle zum Beispiel. Fraglich ist auch, ob Bruder Tuck die Räuberbande mit dem beschwingten Gospelsong „Salz der Erde“, in dem er Robin und die Geächteten mit Jesus und seinen Jüngern vergleicht, überreden kann, ihn aus der Gefangenschaft zu befreien.

Die semiprofessionellen Darstellerinnen und -darsteller des Quasi So Theaters machen das Beste daraus. Schon das Einlasspersonal in der Schauburg ist zum Stück passend kostümiert und begrüßt die Gäste in mittelalterlicher Sprache, während im Foyer Honigwein ausgeschenkt wird. Auf eine Videoleinwand projizierte Bilder im Hintergrund, die zum Beispiel die Baumhäuser der Geächteten im Sherwood Forest oder die bunten Glasfenster in der Kirche zeigen, werden im Vordergrund durch reale Bühnenelemente wie von Efeu umrankte Mauerstücke einer mittelalterlichen Ritterburg oder Kirchenbänke ergänzt. Die Bühne an sich ist von den Silhouetten zweier großer Bäume umrahmt (Bühnenbild: Imke Strothmann).

Detailliert und gut auf die einzelnen Charaktere und ihre Berufe abgestimmt sind die Kostüme von Ute Stöttner: der Bischof Wycliff trägt rote Schuhe, der Dichter Will Scarlett Barett und Federkiel, der Schmied Malcolm Schürze und Unterarmschutz aus Leder. Authentischer als in der Originalproduktion, tritt Robin bei seiner Rückkehr aus Jerusalem noch in der Kreuzritterrüstung, dem hellen Waffenrock mit Ledergürtel und rotem Kreuz auf der Brust, auf. Auch die anderen Geächteten sind wie mittelalterliche Gaukler oder Handwerker gekleidet, häufig in braun-grüne, schwere Wollstoffe, Felle oder Leder mit den für „Robin Hood“ namensgebenden Kapuzen.

Deutlich aufwändiger wirken die Kleider am Hofe, vor allem die Lady Marians und Lady Isabelles, aus Samt und Seide mit Gold- und Silberapplikationen. Lady Marian erinnert mit der blonden Langhaarperücke optisch gar an Daenaerys Targaryen aus der mittelalterlichen Fantasy-Serie „Game of Thrones“. Der Sheriff von Nottingham trägt ausschließlich Schwarz und wirkt mit der Ushanka und dem Pelzmantel wie ein russischer Zar.

Die Partitur von Martin Doepke vereint mehrere Stile, so gibt es hymnenartige Balladen, gregorianische Klänge, keltische Folksongs, Gospel und rockig arrangierte Stücke. Titel wie „Der Sturm ist nah“, „Abschaum“, „Das Ende der Legende“ oder „Freiheit brennt unter der Haut“ bleiben durchaus im Ohr. Die Musik wurde damals vom London Philharmonic Orchestra in den Abbey Road Studios aufgenommen. In der Schauburg kommt sie vom Band, was ab und an, wenn die Tracks für Umbaupausen stoppen, zu Brüchen zwischen den Szenen führt. Die Choreografie von Christina Lohmann bewegt sich zwischen höfischem Tanz, irischem Riverdance und Revuenummern. Die Kampfszenen (Kampfchoreografie: Simon Grotemeier) wirken echt und werden hier mit Schwertern – nicht wie man meinen könnte mit Pfeil und Bogen – geführt.

Was die Besetzung angeht, gibt es in der Ibbenbürener Inszenierung noch weitere Änderungen (Regie: Manska Jahnke, Jennifer Bober-Schröder): So wurde die Rolle des stummen Tim gestrichen und stattdessen die Näherin Ruby (Lena Hummel) als weiblicher Charakter in der Räuberbande eingeführt. Der Koch Patrick wird durch die Köchin Mary (Freddy Kutz) ersetzt, der zu jeder Situation das passende Menü einfällt. Pommes („kleine Kartoffelstifte in Öl gebraten“), Fischstäbchen und Döner gab es zu der Zeit zwar noch nicht, aber ihre bildlichen Umschreibungen der Gerichte regen zum Schmunzeln an. Auch die anderen Geächteten sind treffend besetzt, doch manchmal wirken die Texte von Elke Schlimbach und Grant Stevens peinlich, als der Dichter Will Scarlett (Robert Knoll) zum Beispiel sein neues Stück „Romeo und Jutta“ ankündigt, oder obszön, wenn der Anführer der Räuberbande, Little John (Silas Landwehr) – rollenbedingt ohnehin ein „Großkotz“ – Robin droht, ihm „die Falten aus dem Sack zu klopfen“.

Ähnlich vulgär drückt sich auch der Schmied Malcolm (Simon Grotemeier) aus, der bei ihrem ersten Aufeinandertreffen glaubt, dass Robin sich „vor lauter Bammel in die Strumpfhosen scheißt“, doch unter ihrer harten Schale steckt ein weicher Kern. Tobias Landwehrs Bruder Tuck tritt eher als Streitschlichter und Vermittler und weniger als der Genussmensch auf, der vor allem Wein und gutes Essen liebt, so wie man ihn aus anderen Interpretationen des Stoffes kennt. Die bei ihm im Kloster aufgewachsene Jessica (genannt Jess) – von Colleen Menger mit dem richtigen Maß positiver Energie dargestellt – ist zwar vorlaut und draufgängerisch, Robin, den sie bewundert, gegenüber aber auch loyal, so dass sie sogar ihr Leben für ihn riskiert. Anders als in der Originalfassung überlebt Jess, wie erst später bekannt wird, den Schwertkampf mit dem Sheriff und stößt, nachdem sie gesund gepflegt wurde, wieder zu den Geächteten.

Am englischen Königshof ist der scheinheilige Bischof Wycliff (Uwe Heynemeier) der heimliche Fadenzieher, der kindlich-naive Prinz John (Patrick Leufkens) hingegen meidet alle Konflikte und hat zur Beruhigung immer seine zahlreichen Stofftiere im Arm („Ich liebe Kaninchen!“). Die Zofe Amelia (Jasmin Kröll) ist resolut und lässt sich von Männern nichts vormachen – Little John fordert sie sogar zum Armdrücken heraus – zeigt aber, wenn jemandem Leid widerfährt, auch ihre mitfühlende Seite im Song „Sie kamen mit dem Wind“. Laura Garmann stellt Lady Isabelle glaubhaft als ältere Frau und auch stimmlich stark mit fiesem Lachen als machthungrige Intrigantin dar, die nur einen schwachen Moment erlebt, als es um ihr uneheliches Kind geht.

Simon Schoo gibt sich als Sheriff von Nottingham stets siegessicher, überheblich und kalt. Mit kräftiger Stimme überzeugt er auch in seiner Solonummer „Abschaum“, bei der er – ein interessanter Regiezug – alle anderen Akteurinnen und Akteure wie Marionetten an unsichtbaren Fäden herumführt. Sophie Tsambika Meiers Lady Marian wirkt zunächst eher passiv, ist ruhig, ernst, besorgt und in ihren Solopassagen bei den höheren Tönen stimmlich etwas zaghaft, wird aber später in der Gefängnisszene mutiger, als sie bereit ist, sich für Robin zu opfern, und harmoniert im „Streitduett“ gut mit dem Sheriff. Christopher Rüter als Robin von Locksley überzeugt in der Titelrolle als heldenhafter Freiheitskämpfer mit angenehmer Tenorstimme, der zwar, wenn es um Gerechtigkeit geht, manchmal zu impulsiv handelt, es aber schnell bereut und ansonsten eher nachdenklich ist.

Das Buch von „Robin Hood – Für Liebe und Gerechtigkeit“ weist weiterhin Schwächen auf. Was die Umsetzung des Stücks angeht, ist die Ibbenbürener Inszenierung jedoch ideenreicher und, was die Ausstattung und die gesamte Bühnenatmosphäre betrifft, authentischer. Über gelegentliche schauspielerische und gesangliche Unsicherheiten sieht man leicht hinweg, wenn man bedenkt, was die Truppe des Quasi So Theaters auf die Beine gestellt hat. Wer Abenteuer und die Legende des englischen Nationalhelden mag, wird hier rundum gut unterhalten.

Text: Yvonne Drescher

Yvonne Drescher ist studierte Musik-, Sprach- und Literaturwissenschaftlerin sowie Kulturmanagerin. Während ihres Studiums hat sie als freie Mitarbeiterin im Kulturbereich für Magazine und Zeitungen geschrieben und anschließend in der PR-Abteilung eines Tourneeveranstalters gearbeitet. Als Laiendarstellerin, Musikerin oder Regieassistentin war sie selbst schon an zahlreichen Musiktheaterproduktionen beteiligt.