
Spannendes Konzept: „Rent“ in Dortmund
Obwohl es „Rent“ am Broadway auf mehr als 5.100 Vorstellungen brachte, ist dem Musical von Jonathan Larson in Deutschlang bislang der große Erfolg verwehrt geblieben, was wohl ein Grund dafür ist, dass das Stück hierzulande nur sehr selten aufgeführt wird. Auch die Inszenierung von Gil Mehmert am Dortmunder Opernhaus lockt nicht gerade Massen, wenn man einmal die Saalpläne der einzelnen Vorstellungen betrachtet. Selbst die sonst so beliebten Silvestervorstellungen sind noch weit davon entfernt, ausverkauft zu sein. Ebenso ist die besuchte Vorstellung an einem Sonntagabend nicht gut ausgelastet, während am Nachmittag zuvor die Aufführung von „La Bohème“, worauf „Rent“ basiert, rappelvoll ist.
Vielleicht ist das Stück – das durchaus eine eingeschworene Fanbase besitzt – wirklich zu unbekannt, um auf großes Publikumsinteresse zu stoßen, doch die Inszenierung von Gil Mehmert ist genauso wie die Cast erstklassig. Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen, was insbesondere am Ton liegt. „Rent“ ist ein Rock-Musical, aber in Dortmund rockt es nicht wirklich. Die Musik klingt blutleer, es fehlt der Wumms. Wie man es oft von Repertoiretheatern gewohnt ist, scheint man auch in Dortmund mit dieser Art von Musik überfordert zu sein. Ein Opernhaus ist eben für unverstärkte klassische Musik gebaut worden, nicht jedoch für den Sound eines Rockkonzerts ausgelegt.
Schade ist zudem, dass man die Band (Musikalische Leitung: Jürgen Grimm) von „Rent“ im Orchestergraben platziert hat, wo die fünf Personen verloren wirken, statt sie in das Bühnenbild zu integrieren. Wie gut das funktionieren kann, wird im benachbarten Gelsenkirchen bei dem ebenfalls von Jonathan Larson geschriebenen Musical „tick, tick… BOOM!“ eindrucksvoll bewiesen. Hinzu kommt, dass der Sound in der besuchten Vorstellung gedämpft-distanziert klingt und der Gesang der Darstellerinnen und Darsteller mal lauter und dann wieder leiser als die Musik ist, worunter die Textverständlichkeit (Übersetzung: Wolfgang Adenberg) enorm leidet. Hier klingt nichts wie aus einem Guss – das trübt den ansonsten positiven Gesamteindruck. Entsprechend zurückhaltend und wenig enthusiastisch, sogar bei dem treibenden Titelsong (Choreografie: Melissa King), sind die Publikumsreaktionen.
Dabei geben die Mitwirkenden auf der Bühne alles, um eine mitreißende Vorstellung zu gestalten. Sie überzeugen mit großer Bühnenpräsenz, differenzierten Rollenporträts und herausragenden Stimmen. Patricia Meeden ist die perfekte Mimi, im ersten Akt noch verrucht und verspielt, im zweiten Akt von der Krankheit gezeichnet und geradezu zerbrechlich. Wenn sie ihre schönen Balladen und das rockige „Out Tonight“ singt, ist Gänsehaut garantiert. David Jakobs mimt den Rockmusiker Roger und meistert seinen Part schauspielerisch wie gesanglich sehr gut. Seine Interpretation von „One Song Glory“ bleibt dabei besonders positiv in Erinnerung. Christof Messner steht ihm als Filmemacher Mark in nichts nach. So zeigt er ein Schauspiel, das vor Authentizität nur so strotzt und liefert eine stimmige Darstellung dieser durchaus komplizierten Rolle.
Bettina Mönch gibt in der Rolle der Maureen eine stimmgewaltige Performance-Künstlerin, die nicht nur mit ihrer Solonummer punktet, sondern besonders im Zusammenspiel mit Amani Robinson als Joanne und dem gemeinsamen Powerduett. Mit wundervollem Schmelz in der Stimme intoniert Alex Snova seinen Part als Tom, Lukas Mayer gibt eine charmante und liebenswürdige Angel und Pedro Reichert drückt dem fiesen Vermieter Benny einen typgerechten Stempel auf.
Optisch wird die Inszenierung von Gil Mehmert den Anforderungen des Stücks gerecht. Die Kostüme von Falk Bauer spiegeln authentisch die Mode der Neunzigerjahre wider und sind rollengerecht ausgewählt, lediglich Angel hätte noch auffälligere Kleidung bekommen dürfen. Stark ist außerdem das Bühnenbild von Jens Kilian, das auch bei der Oper „La Bohème“ zum Einsatz kommt und durch das ästhetische Lichtdesign von Michael Grundner sehr gut in Szene gesetzt wird. Wo in der Oper die Silhouette von Paris zu sehen ist, prangt jetzt die Skyline von New York. Der Rest ist identisch und nur leicht den Gegebenheiten angepasst worden. Auch bei „Rent“ fährt aus dem Bühnenboden ein Café hervor: was bei „La Bohème“ das Café Momus ist, heißt hier nun „Life Café“. Wo in der Oper Weihnachtsbäume leuchten, sind es im Musical stilisierte Bäume in Form von mit Lichterketten behangenen Drahtgestellen.
Es lohnt sich deshalb, beide Inszenierungen von Gil Mehmert anzusehen, um die Parallelen zwischen den Stücken zu entdecken – im Bühnenbild, bei den Charakteren, der Story und der Liedabfolge. So ist beispielsweise der Song „Light my Candle“, bei dem Roger und Mimi aufeinandertreffen, nahezu identisch mit dem ersten Bild in Puccinis Oper, wenn sich Rodolfo und Mimi kennen lernen. Deshalb: Ein spannendes Konzept!
Text: Dominik Lapp