„Novecento“ (Foto: Dominik Lapp)
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Starkes Kammerspiel: „Novecento“ in Bad Hersfeld

Ein Monolog, der an Bord eines Schiffes spielt. Wohl nirgends wäre dieser besser aufgehoben als im Kirchenschiff der Stiftsruine in Bad Hersfeld. In diesem „anderen Sommer“ der Bad Hersfelder Festspiele gastiert Thomas Borchert mit dem Ein-Personen-Sprechtheaterstück „Novecento“, der Legende vom Ozeanpianisten, und nimmt das Publikum in der ausverkauften Stiftsruine in 90 Minuten mit auf eine fantastische Reise, bei der er ganz pur zu erleben ist. Thomas Borchert mal nicht als Musicaldarsteller und Sänger, sondern als ebenso grandioser Schauspieler und Pianist.

Seit mehr als einem Jahrzehnt gastierte Borchert bereits mit „Novecento“ an unterschiedlichen Bühnen. Die Neuinszenierung von Martin Maria Blau, in der er jetzt in Bad Hersfeld zu sehen ist, feierte im vergangenen Herbst am Berliner Schlossparktheater Premiere. Um die Geschichte des italienischen Schriftstellers Alessandro Baricco (Deutscher Text: Katrin Krieger) aus dem Jahr 1994 zu erzählen, ist nicht viel nötig: Durch seine starke Bühnenpräsenz füllt Thomas Borchert die leere schwarze Bühne aus, auf der sonst nur ein Flügel samt Hocker steht.

Äußerst vielseitig und ausdrucksstark zeigt sich der Schauspieler, der nicht nur die Rolle des titelgebenden Pianisten Novecento, sondern auch alle anderen Rollen spielt. Dabei variiert Thomas Borchert seine Sprechstimme genauso wie seine Mimik und Körperhaltung. Sich in all die unterschiedlichen Rollen hineinzufinden und sie authentisch wiederzugeben, macht ihm sichtbar Spaß – Lacher erntet er besonders für die Darstellung des Schiffskapitäns.

„Novecento“ (Foto: Dominik Lapp)

Mit größter Spielfreude nimmt Thomas Borchert das Publikum mit an Bord des Passagierschiffs Virginian, auf dem Novecento im Jahr 1900 vom Maschinisten Danny Boodman als Baby gefunden wurde – abgelegt in einem Karton auf einem Klavier im Ballsaal der ersten Klasse. Novecento wächst auf dem Schiff auf, lernt das Klavierspiel und wird niemals das Festland betreten.

Als Ausnahmepianist spielt er mehrmals täglich an Bord der Virginia Nummern aus Jazz, Blues und Ragtime. „Er machte eine Art Musik, die es gar nicht gab“, heißt es in dem Stück. Und hierbei, im Klavierspiel, liegt auch tatsächlich Thomas Borcherts weiteres Talent. Immer wieder nimmt er am Flügel Platz und begeistert mit seiner unglaublichen Fingerfertigkeit. Er spielt so leidenschaftlich und lebendig, dass einem ein kalter Schauer nach dem anderen über den Rücken läuft.

So einfühlsam wie sich Thomas Borchert schauspielerisch zeigt, so einfühlsam und emotionsgeladen ist er auch an den 88 Tasten seines Flügels. Vor allem aber erzählt Borchert in „Novecento“ nicht nur eine Geschichte. Vielmehr lebt er diese Geschichte und interagiert dabei auch immer wieder mit seinem Publikum. Großartig ist, wie er zwischen den einzelnen Charakteren wechselt – vom mystischen Novecento zum bärbeißigen Kapitän, vom arroganten Jelly Roll Morton – einem der einflussreichsten Jazzmusiker seiner Zeit – zum sympathischen Erzähler Tim Tooney.

Diese große schauspielerische Wandlungsfähigkeit und die exzellenten musikalischen Leistungen Borcherts honoriert das Publikum mit Szenenapplaus und schließlich mit nicht enden wollendem Schlussapplaus. Und so kommt es am Ende dieses starken Kammerspiels letztlich auch nicht überraschend, dass der Ausnahmekünstler noch zwei Zugaben spielt, bevor er sich verabschiedet.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".