„Mörder unter sich“ beim Try-out in Bad Oeynhausen (Foto: Niklas Möhlmann)
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Spannendes Seelenspiel: „Mörder unter sich“ in Neunkirchen

„Einen Mörder unter sich zu haben, ist nicht einfach zu ertragen“, fasst die Protagonistin Bianca die Faktenlage singend und treffend zusammen. Ebendiese Bianca steht im Mittelpunkt des Musicals „Mörder unter sich“ – einem Musical-Thriller, der von Maricel Wölk geschrieben, produziert und als Ein-Personen-Stück allein von ihr auf die Bühne gebracht wird. Nach der Uraufführung in Wunstorf im Januar 2025 war das Musical nun anlässlich des Krimifestivals auch im saarländischen Neunkirchen zu Gast.

Der Handlungsrahmen des Musicals ist klar definiert und zieht – wie in einem guten Thriller – sofort in die Geschichte hinein. Bianca Feller wird in einer Serie von Tötungsdelikten zur Hauptverdächtigen. Dabei ist sie sich sicher, keinen Mord begangen zu haben. Um herauszufinden, wer die Taten verübt hat, begibt sie sich in ein altes Herrenhaus. Bianca weiß allerdings: Sie selbst ist nie allein. Denn sie leidet unter einer multiplen Persönlichkeitsstörung und teilt sich ihren Körper mit fünf weiteren Mitbewohnenden. Verbirgt sich in einer dieser Persönlichkeiten der wahre Mörder?

Ein zentrales Element, das Maricel Wölk in der Darstellung ihrer im wahrsten Sinne vielschichtigen, in Bianca versteckten Figuren unterstützt, ist die große Videoleinwand, die die Bühnenrückseite bildet. Neben wenigen echten Requisiten wie einem großen Lesesessel und einer Stehlampe sorgen die von Stagedesignerin Tina Mareike Kuschel gezeichneten Strichzeichnungen im Schwarz-Weiß-Look gemeinsam mit einem stimmigen Licht- und Tonkonzept für ein angenehmes Schaudern, wenn das alte Herrenhaus mit zugigen Fenstern, quietschenden Türen, plötzlichen Stromausfällen oder überraschend pfeifenden Wasserkesseln irritiert.

Während des gesamten Stücks sind die Bild- und Videosequenzen auf der Leinwand präzise auf Text und Gesang abgestimmt und visualisieren die Handlung eindrucksvoll. Die Bandbreite der eingesetzten Mittel ist dabei äußerst abwechslungsreich. Mal wird im grell-bunten Comicstil auf dem Motorrad umhergefahren, dann fühlt man sich wie in einem überdimensionalen Cluedo-Spiel, wenn Tatort, Tatwaffe und Verdächtiger ausgewertet werden – oder man taucht, unterstützt von aufwendigen Schattenbildern, tief in den Bewusstseinsnebel Biancas hinab.

Was die Figuren des Musicals jedoch wirklich erlebbar macht, ist nichts Virtuelles, sondern allein die große schauspielerische Leistung von Maricel Wölk. Mit einer minimalen Veränderung im Kostüm (meist durch ein knallrotes Accessoire), einem fast schon klischeehaft guten Akzent und einer verwandelten Körperhaltung wechselt sie zwischen den Figuren. Das ernste Thema einer psychischen Störung wird so greifbar auf die Bühne gebracht, wenn Bianca nacheinander mit ihren weiteren Identitäten ins Verhör geht: etwa mit der kecken Teenagerin Cindy mit Berliner Schnauze, dem pflichtbewussten und ordnungsliebenden Oberst von Lützow oder der französischen Femme fatale Jeanette.

Während der erste Akt noch einen Überblick über die einzelnen Persönlichkeiten und deren Rolle im Handlungsablauf der Morde gibt, folgen im zweiten Akt die Wendungen und Auflösungen Schlag auf Schlag. Bei einem Buch-Thriller bleibt die Möglichkeit, kurz durchzuatmen, einen Schluck Tee zu trinken oder einige Seiten zurückzublättern. Diese inhaltliche Dichte gegen Ende senkt keinesfalls den Unterhaltungsfaktor, fordert jedoch die Aufmerksamkeit heraus, um in der Auflösung um den wahren Mörder nicht den Faden zu verlieren.

Schon bis hierhin ist „Mörder unter sich“ ein gelungenes multimediales Feuerwerk, das das starke Schauspiel der Darstellerin hervorhebt. Als Krönung – und um das Musical schließlich als solches zu legitimieren – liefert das Stück noch rund ein Dutzend Songs, deren Texte und Musik ebenfalls aus der Feder von Maricel Wölk stammen. Neben beschwingten Nummern, wenn Alkohol als „Der beste Therapeut“ besungen wird und zum Mitklatschen einlädt, gehört zu den Höhepunkten das stimmgewaltig dargebotene „Vergessen“ im Balladen-Stil.

Es ist spürbar, dass in diesem Projekt viel Arbeit und extreme Detailliebe stecken, die „Mörder unter sich“ zu einer außergewöhnlich spannenden One-Woman-Show machen, die optisch neue Maßstäbe setzt.

Text: Nathalie Kroj

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Nathalie Kroj sammelte Erfahrungen bei thatsMusical und Musical1, bevor sie als Autorin zu kulturfeder.de kam, um hier ihre Leidenschaft für Musicals mit dem Schreiben zu verbinden.