„Jesus Christ Superstar“ (Foto: BHF / S. Sennewald)
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Befremdlich und tendenziös: „Jesus Christ Superstar“ in Bad Hersfeld

Originelle Inszenierungen mögen wir alle. „Jesus Christ Superstar“ bei den Bad Hersfelder Festspielen unter der Regie von Stefan Huber möchte originell sein und modern, aber hauptsächlich ist sie befremdlich, manchmal peinlich und insgesamt sehr tendenziös. Außerdem ist sie leider auf Deutsch, womit die Poesie des Urtextes von Tim Rice komplett verloren geht – und davon abgesehen, dass wohl fast jeder die englischen Texte gut genug kennt und es die Möglichkeit gäbe, die Übersetzung auf Videotafeln mitlaufen zu lassen, muss man leider sagen, dass die Textverständlichkeit ohnehin zu wünschen übrig lässt. Aber das ist eben nicht das größte Manko – leider fragt man sich allzu häufig: Was soll das?

Das beginnt mit dem Bühnenbild (Bühne und Kostüme: Okarina Peter & Timo Dentler), das von einem gewaltigen liegenden Kreuz, das rollbar, schwenkbar und hydraulisch neigbar als Bühnenteil, Tisch fürs Abendmahl und Ähnliches dient, dominiert wird. Ein Kreuz als Laufsteg? Das wirkt geschmacklos und ist sichtbar unpraktisch.

Zu Beginn liegt die zum Kreuz gehörende riesige, leider nicht allzu liebevoll bemalte Jesusfigur schräg auf der Bühne, was schon beim Eintreten des Publikums für Irritationen sorgt. Der kirmesrosa Jesus wird zur Ouvertüre langsam hochgezogen, was ziemlich schaurig wirkt, hängt von da an über dem Altarraum und betrachtet die Geschichte sowie die Zuschauer. Man kann das mögen oder nicht, aber damit ist klar: Die Stiftsruine ist an diesem Abend wieder eine Kirche, es geht um Jesus-People und das Christentum, und das wäre an sich eine reizvolle Variante, wenn es komplett durchgezogen würde.

Die Handlung wird ergänzt um eine sehr gut gespielte, dennoch völlig unnötige, eher peinlich wirkende Einleitung, in der ein junggesichtiger, aber uralt agierender Priester mit übergroßer Bischofsmitra mühsam über den noch liegenden Gekreuzigten steigt und gekonnt mit zittriger Stimme und Altmännergesten verkündet, man müsse sich die Taten Jesu anschauen und sie in die heutige Zeit nachwirken lassen. Derweil beweihräuchern Messdiener die Szene, und immer mal wieder greift der Bischof nach ihnen – sie weichen ängstlich zurück: Der Missbrauchsskandal wird somit thematisiert, jedoch überaus ärgerlich aufgelöst, indem der Priester, während der Gekreuzigte nach oben schwebt, seine Gewänder fallen lässt und als Jesus dasteht. Die Botschaft, „durch den Priester spricht Jesus zur Gemeinde (auch wenn er grapscht)“, wäre damit mal wieder verkündet – die katholische Kirche wird es freuen.

Das Ärgernis zieht sich weiter durch das Stück, wenn zwar fast alle Personen und Situationen christianisiert werden, man im Tempel Jesus-Devotionalien bis hin zur aufblasbaren Weihnachtskrippe feilbietet, die Jünger Hippie-Jesus-People sind und der Einzug nach Jerusalem richtig fetzig mit „Jesus-liebt-dich“-Plakaten gefeiert wird. Das ist an sich klasse und macht Spaß – nur: wenn der Hohe Rat auftritt wie Western-Bösewichter, schwarz von Kopf bis Fuß, mit Panzerknacker-Schminke und Lincoln-Bärten, so dass sie zum Beispiel auch Amish sein könnten, dann aber Kaiphas demonstrativ eine riesige Thorarolle mit sich herumträgt, dann haben wir sie wieder, die tendenziöse Paarung der „lieben Christen, schurkischen Juden“. Die ist aber historisch nun einmal falsch, und wer die Evangelien so antisemitisch liest wie Andrew Lloyd Webber und Rice, übersieht dabei, was alle Zeitgenossen der Evangelisten wussten: Jesus und seine Jünger waren Juden. Es gibt in den Evangelien, neben Pilatus und ein paar Randfiguren, einfach nur Juden, welche, die wir lieb finden, und welche, die wir böse finden, je nach Standpunkt des Betrachters.

Wenn man sich also endlich von den üblichen, falschen Stereotypen hätte lösen wollen, wären den Machern in Bad Hersfeld zwei Varianten möglich gewesen: auch den Hohen Rat zu christianisieren und zum Beispiel als Papst mit Kardinälen darzustellen, so katholisch, wie die Einleitung ohnehin daherkommt, oder auch die Jesus-People jüdisch zu kostümieren, indem man ihnen die Kippa aufsetzt oder Davidssterne auf die Shirts druckt anstelle der individuellen Szenen aus Da Vincis Abendmahl. Vor allem Jesus hätte anstelle des Herz-Jesu-Herzchens auf seinem Oberteil besser ein Davidsstern zu Gesicht gestanden, den Gag mit dem Porträt des Turiner Grabtuchs auf seinem Überwurf hat vermutlich ohnedies kaum jemand verstanden, denn es ist schwer zu erkennen.

Leider bleibt Frank Winkels als Pilatus blass, singt und spielt seine Rolle solide, hat aber entweder nicht genug Bühnenpräsenz, um seine Figur als den machtgeilen Bürokraten, der er war, eindringlich auf die Bühne zu bringen und so die ganze Geschichte hin zur historischen Wahrheit zu transportieren, oder es besteht seitens der Regie kein Interesse, das Märchen vom lieben Richter, der von außen gezwungen wird, endlich richtigzustellen. Das alles ist auch insofern wirklich schade, als sämtliche anderen Darsteller durch Spielfreude und Elan glänzen, sich vom heftig pladdernden Regen nicht aus dem Konzept bringen lassen und trotz der genannten Mängel eine Show auf die Beine stellen, die eben deshalb, weil sie Spaß macht und unter die Haut geht, das gefährliche Gift unbemerkt umso stärker nachwirken lässt.

Stimmlich und darstellerisch ganz aus sich heraus gehen sowohl Tim Al-Windawe als Judas als auch Andreas Bongard als Jesus, beide bewegen wirklich, lassen den Funken überspringen und wirken in jeder Szene authentisch. Mit blutendem Herzen, das Liebe verströmt, sehr passend kostümiert singt Sidonie Smith die Maria von Magdala mit warmer, voller Stimme und bringt ihre Liebe zu Jesus anrührend zum Ausdruck. Ngako Keuni spielt den Rebellen Simon Zelotes wunderbar flippig, könnte aus „50.000“ aber mehr machen. Herrlich sonor mit sattem Bass singt Matthias Graf den Kaiphas, und Holden Madagame als Annas hat sichtlich Spaß an seiner Rolle, seine schon komödiantische Interpretation erinnert ein bisschen an Jago aus „Aladdin“. John Baldoz spielt seinen Petrus wunderbar naiv und Rob Pelzer (Herodes) bleibt mit hinreißend schrägem Spiel und akzentuiertem Gesang wohltuend im Gedächtnis.

Großes Lob auch an Requisite (Doris Engel) und Maske (Stephanie Hanf) für die wirklich gut gelungenen Spezialeffekte vor allem bei Geißelung und Kreuzigung. Die Standing Ovations haben sich die großartigen Darsteller und das ausgezeichnete große Orchester (Musikalische Leitung: Christoph Wohlleben) mehr als verdient, und es bleibt zu hoffen, dass künftige Inszenierungen endlich aus der unheilvollen Tradition ausbrechen und neue Wege beschreiten, damit die ungute antisemitische Färbung des Stücks endgültig Vergangenheit wird.

Text: Hildegard Wiecker

Hildegard Wiecker schreibt leidenschaftlich gern und hat Erfahrung als Rezensentin bei thatsMusical gesammelt, bevor sie zu kulturfeder.de kam.