„Der kleine Horrorladen“ (Foto: Andreas Etter)
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Eine Stadt wird grün: „Der kleine Horrorladen“ in Mainz

Mainz wird grün. Zwar nicht im Rathaus, dafür aber im Staatstheater. Denn das hat sich jetzt in einen besonderen Blumenladen verwandelt. Christian Brey bringt mit „Der kleine Horrorladen“ einen echten Musical-Klassiker in die pfälzische Landeshauptstadt. Dabei gibt sich Brey im Programmheft bescheiden in seiner Antwort, welches Konzept er für seine Inszenierung gewählt habe: „Wir machen das Stück, denn das Stück ist ja gut.“ Das mag zwar stimmen, dennoch hat er sich das Beste aus den Vorlagen gesucht und eine sehr unaufgeregte, fast feinfühlige Inszenierung geschaffen.

Dies zeigt sich unter anderem im Bühnenbild von Anette Hachmann. Der kleine Blumenladen von Mr. Mushnik bildet das Zentrum der Bühne. Darüber eine U-Bahnstation, rechts und links ein paar Mülltonnen, Abfälle und eine Straßenlaterne. Sämtliche Szenen, die nicht im Blumenladen spielen, erhalten keine eigene Kulisse, sondern spielen vor dem durch einen Vorhang verschlossenen Laden. Lediglich die Zahnarztpraxis des Dr. Orvin Scrivello wird noch durch einen zusätzlichen weißen Plastikvorhang von der restlichen Bühne getrennt, was weniger an der Kulisse selbst als vielmehr am blutrünstigen Handlungsgeschehen in der Praxis liegen dürfte.

Elisa Limbergs Kostüme unterstreichen die Charakterzüge der Figuren oder Situationen, in denen sie sich befinden. Der etwas schüchterne und introvertierte Blumenverkäufer Seymour Krelbourn trägt zu Beginn eine beigefarbene Stoffhose mit passendem Hemd und einem ebenso farblosen Pullunder, der wiederum kleine Blätter aufgestickt hat, die seine Liebe und Fürsorge zu Pflanzen thematisiert, welche zu Beginn des Stücks im verstaubten und mit ein paar vertrockneten Blumen dekorierten Laden von Mr. Mushnik nicht auf den ersten Blick zu erkennen ist.

Mit zunehmendem Erfolg des Blumenladens und aufkommendem Mut Seymours, Audrey seine Gefühle zu offenbaren, entwickelt sich auch die Garderobe des jungen Mannes hin zu einem schick gekleideten Geschäftsmann im Anzug. Der sadistische Zahnarzt Scrivello praktiziert zwar im weißen Kittel, trägt darüber jedoch eine praktisch abwaschbare, schwarze Lackschürze, die mehr an einen Schlachter als an einen Zahnarzt erinnert, womit seinem Charakter Rechnung getragen wird, und Audrey gesteht Seymour ihre Liebe im knallroten, rosenbesetzten Kleid.

Das Highlight ist jedoch die heimliche Hauptdarstellerin Audrey II, für die es im ausgewachsenen Zustand zwei Puppenspieler braucht. Während bei „Bon Appétit“ (Essenszeit) die gute Pflanze ab und zu ein wenig Bauchredekunst zeigt, gelingt die Maulsynchro bei der ausgewachsenen Audrey II den Puppenspielern Colin Danderski und Sean Grimm sehr gut. Zudem schaffen es die beiden, der noch jungen Pflanze, die versucht, dem Radiomoderator Wink Wilkinson (herrlich überdreht: Henner Momann) in den Hintern zu beißen, Züge eines Tierkindes zu verschaffen, was sie schon fast sympathisch wirken lässt und bei den Zuschauenden zu einem Schmunzeln führt.

Das gefräßige Gemüse ist jedoch nicht nur optisch eine Augenweide, gesanglich verleiht Robert Collins Seymours „Zwo-i“, wie der sie liebevoll nennt, durch seine rauchige, teilweise reibeisenartige Stimme, die teilweise an Bill Ramsey erinnert, echten Charakter. Insbesondere sein „Gib’s mir“ ist ein gesanglicher Höhepunkt der Show, zu dem auch Vincent Doddema als Seymour einen großen Beitrag leistet. Seine klare und saubere Intonation führt dazu, dass bei ihm sämtliche Texte in allen Tonlagen zu verstehen sind. Klaus Köhlers Orin Scrivello gelingt dies leider nicht immer. Passend zu seiner Darbietung legt er zwar besonders viel „Dreck“ in seine Stimme, allerdings führt dies teilweise dazu, dass er nicht mehr so gut zu verstehen ist. Selbiges gilt für die drei Chansonetten Maureen Mac Gillavry (Chrystal), Jamie-Lee Uzoh (Chiffon) und Stefanie Köhm (Ronette), die zwar melodisch einwandfreien Satzgesang liefern, jedoch sehr schwer im Text zu verstehen sind, was hin und wieder, aber nicht immer, auf technische Probleme zurückzuführen ist.

Maike Elena Schmidt gelingt es, bei beltenden Passagen nicht ins Schreien zu verfallen, was ihr einige sehr starke Momente bringt. Doch Schmidt kann nicht nur laut, sondern auch leise. Daher verwundert es auch nicht, dass ihr zart und zerbrechlich, aber sehr klar und sauber vorgetragenes „Im Grünen irgendwo“ donnernden Szenenapplaus zur Folge hat. Holger Krafts Mr. Mushnik bleibt weniger durch seinen Gesang als vielmehr durch sein hervorragendes Schau- und Minenspiel im Gedächtnis. Seine Ängste, den Laden und damit sein Hab und Gut zu verlieren, sollte Seymour ihn verlassen, und die Überzeugung, nur eine Adoption des jungen Mannes könne helfen, zeigt er vor allem in Gestik und Mimik auf sehr unterhaltsame Weise.

Trotz vereinzelt schwierig zu verstehender Texte, ist festzuhalten, dass das gesamte Ensemble im Zusammenspiel mit der Band unter der Leitung von Tobias Cosler die rockigen Stücke Alan Menkens mit einer ansteckenden Hingabe präsentiert – mitreißende Schlagzeug- und Gitarrenparts inklusive.

So kurzweilig und unterhaltsam war es wohl noch nie, einer Pflanze beim Wachsen zuzusehen. Ein Besuch in Mr. Mushniks Blumenladen lohnt sich also. Aber Vorsicht: Es könnte sein, dass man einen Ableger von Audrey II mit nach Hause nimmt.

Text: Anna-Lena Ziebarth

Anna-Lena Ziebarth bringt langjährige Erfahrung als Rezensentin mit und war in der Vergangenheit bereits für thatsMusical tätig, bevor sie zu kulturfeder.de kam.