„Thrill me“ (Foto: Uwe Lewandwoski)
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Grandiose Leistung: „Thrill me“ in Osnabrück

Wie wundervoll ein Musical sein kann, in dem Minimalismus vorherrscht, beweist Jan Friedrich Eggers mit seiner Neuinszenierung von „Thrill me“, die im Foyer des Osnabrücker emma-theaters zu sehen ist. Im Rahmen des Musical-Festivals „Singtriebe“ kommt das Kammermusical von Stephen Dolginoff erstmals in der Friedensstadt zur Aufführung.

Nach gefeierten Inszenierungen in Datteln, Lauenburg und Hildesheim wird nun auch in Osnabrück deutlich, dass ein exzellentes Musical weder eines großen Orchesters noch einer bombastischen Ausstattung bedarf. „Thrill me“ wird getragen von einer spannenden Handlung, die auf einem wahren Kriminalfall aus den 1920er Jahren basiert, der Musik Stephen Dolginoffs, die ausschließlich für ein Klavier geschrieben wurde, einer starken Personenregie und zwei herausragend agierenden Darstellern.

Mit Fabian Böhle als Richard Loeb und Fin Holzwart als Nathan Leopold wurden zwei Darsteller für „Thrill me“ verpflichtet, die zurzeit noch ihre Musicalausbildung am Institut für Musik (IfM) der Hochschule Osnabrück absolvieren. Für das hohe Niveau der Ausbildung am IfM sprechen die erstklassigen schauspielerischen und gesanglichen Leistungen, die Böhle und Holzwart in dem Kammermusical abliefern.

Bei Richard und Nathan handelt es sich um zwei Studenten, die sich in einer verhängnisvollen Abhängigkeit voneinander befinden. Während Nathan unsterblich in Richard verliebt ist und alles für ihn tun würde, ist Richard von Nathan total genervt, braucht ihn aber als Komplize, wenn er des Nervenkitzels wegen wieder eine Lagerhalle in Brand steckt, in ein Haus einbricht oder letzten Endes einen Jungen aus der Nachbarschaft entführt und tötet. Um etwas körperliche Nähe zu bekommen oder einfach nur, um von Richard mal wieder Babe genannt zu werden, macht Nathan mit – bis beide auffliegen.

Fabian Böhle ist perfekt als Richard. Er sieht nicht nur gut aus, sondern spielt den Jurastudenten absolut besessen, teilweise irre, oft aggressiv und immer wieder angsteinflößend. Sein Schauspiel ist authentisch und wirkt niemals aufgesetzt. Er ist eins mit seiner Rolle und sorgt so für eine krasse Eiseskälte im Theaterfoyer, wo bei nur etwa 40 Zuschauern ohnehin eine sehr intime Atmosphäre entsteht.

Doch Fin Holzwart steht ihm in nichts nach. Überzeugend gibt er den verliebten, liebenswürdigen, so zerbrechlich wirkenden Nathan, der sich nur nach Nähe zu Richard sehnt. Während Böhle als Richard fast durchgehend aggressiv und aufbrausend ist, mimt Holzwart sehr stark den eher zurückhaltenden Nathan, in dem nach und nach immer mehr Wut aufsteigt, bis sie sich in einem Schimpfwort, einer Backpfeife oder einem fast epileptischen Körperzucken entlädt.

In ihrem Zusammenspiel sind Fabian Böhle und Fin Holzwart schlichtweg grandios. Einen großen Anteil daran hat auch Regisseur Jan Friedrich Eggers, der den Fokus seiner Inszenierung auf eine starke und durchdachte Personenregie legt und mit exzellenten Einfällen das Publikum überrascht. Dabei hat er den ungewöhnlichen Spielort, das Foyer des emma-theaters, wunderbar in die Handlung mit einbezogen und mit wenigen Mitteln eine wahrhaft große Inszenierung geschaffen.

Immer wieder sprechen die beiden Darsteller Regieanweisungen laut und sorgen für neue Lichtstimmungen, indem sie selbst die Lichtschalter der Bar betätigen oder – nachdem sie sich den Weg durch das Publikum gebahnt haben – Scheinwerfer in neue Positionen bringen. Mal setzen sich die Protagonisten ins Publikum, mal mixt Richard Loeb einer Zuschauerin einen Cocktail oder bietet einem Zuschauer ein kühles Bier an. Spannung und Wahnsinn liegen hier immer nah beieinander und sind allgegenwärtig – im Publikum ahnt man nicht, was als nächstes passieren könnte.

Sehr schön gelöst ist außerdem das Bühnenbild, das es im eigentlichen Sinne gar nicht gibt. Schauplatz der Handlung ist die Bar im Theaterfoyer. An der roten Wand befinden sich mehrere weiße Flächen, die stückweise mit zur jeweiligen Szene passenden Bildern bedeckt werden – sei es nun ein in Flammen aufgehendes Lagerhaus oder die Titelseite der Lokalzeitung, die von der Entführung eines Jungen berichtet. Abgerundet wird das alles durch einige Requisiten, eine Tasche, etwas Diebesgut, eine Schreibmaschine oder Nathans Brille, die am Tatort gefunden wird. Mehr braucht es auch nicht. Denn die Handlung ist so durchgängig spannend und das Schauspiel so unglaublich packend, dass sich dem Publikum nicht einmal die Gelegenheit bietet zu applaudieren.

Transportiert wird die Geschichte von „Thrill me“ durch die Musik von Stephen Dolginoff, der sehr eingängige Balladen und Duetten im Stil eines Liederabends geschrieben hat. Neben der Musik hat Dolginoff auch das Buch geliefert und Musik und Dialoge hervorragend miteinander verwoben. Mit Wladimir Krasmann wurde zudem ein versierter Pianist verpflichtet, der mit seinen wunderschönen Pianoklängen die Grundlage für die gesanglichen Bestleistungen von Fabian Böhle und Fin Holzwart liefert. Die gelungenen deutschen Texte von Bernd Julius Arends bringen beide Protagonisten mit ihren klangschönen Stimmen mal schneidend und mal gefühlvoll über die sprichwörtliche Rampe.

Nach der knapp 90-minütigen Darbietung, die ohne Einschränkungen zu empfehlen ist, verwundert es letztendlich nicht, dass sich das aufgestaute Adrenalin beim Publikum sofort in lautstarken Applaus entlädt, sobald der letzte Ton verklungen und das Licht erloschen ist. Mit stehenden Ovationen feiern die Premierenzuschauer Künstler und Regisseur von „Thrill me“ absolut verdient.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".