„Fack ju Göhte“ (Foto: Nico Moser)
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Starke Neuinszenierung: „Fack ju Göhte“ auf Tour

Chantal würde sagen: „Das ist völlig geisterkrank!“ Recht hat sie. Denn das 2018 in München uraufgeführte Musical „Fack ju Göhte“ – im selben Jahr absolut verdient mit dem Deutschen Musical Theater Preis als bestes Musical ausgezeichnet – ist endlich zurück auf der Bühne und tourt zurzeit durch den deutschsprachigen Raum. Für die Regie wurde erneut Christoph Drewitz verpflichtet, der bereits die Uraufführung verantwortete.

Mit seiner Neuinszenierung, die von der Firma ShowSlot produziert wird, erfindet Drewitz das Rad nicht neu, sondern setzt auf Bewährtes und bringt dennoch viele frische Ideen in die Show ein, die sich von der Urfassung unterscheiden. Während das Münchner Werk 7 Theater damals sehr auf „Fack ju Göhte“ zugeschnitten war und ein immersives Erlebnis geboten hat, bei dem das Publikum auf blauen Hartschalensitzen inmitten einer Turnhalle saß, zeigt sich bei der Tourproduktion, dass das Stück auf einer klassischen Guckkastenbühne genauso gut funktioniert, wobei auch hier das Auditorium kurzzeitig mitbespielt wird.

Das Bühnenbild von Andrew D. Edwards (der schon die Uraufführung ausstattete) zeigt eine Turnhalle, links und rechts von roten Metallspinden umsäumt, die herausfahren und aufgeklappt werden können, um so neue Orte entstehen zu lassen. Drei verschieden große Klettergerüste werden genutzt, um unter anderem eine Gefängniszelle oder einen Tunnel unter der Turnhalle darzustellen. Eine besondere Dynamik entsteht außerdem durch mehrere Würfel, die zum Beispiel mal als Stühle im Klassenzimmer und mal als stilisierter Thron für Schuldirektorin Gerster dienen. Die Kostüme von Adam Nee sind an denen der Filmvorbilder angelehnt, zeitgemäß und zu den Charakteren passend.

„Fack ju Göhte“ (Foto: Nico Moser)

Es ist die politische Unkorrektheit von „Fack ju Göhte“, die dem Publikum immer wieder Lachsalven entlockt. Was Millionen Kinozuschauern gefallen hat, funktioniert auf der Musicalbühne ebenfalls. Kevin Schroeder hat dazu viele der witzigsten Dialoge aus Bora Dagtekins Filmdrehbuch übernommen sowie das Buch bühnentauglich im Jugendslang weiterentwickelt, Simon Triebel hat sehr treffende Songtexte geschrieben, die genauso frisch wie authentisch klingen. Zudem sind die Dialoge von 2018 noch einmal überarbeitet worden, um der aktuellen Entwicklung Rechnung zu tragen, so dass zum Beispiel Facebook durch TikTok ersetzt wurde. Musikalisch verpackt wurde alles von Nicolas Rebscher, der eine gelungene Mischung aus Hip-Hop, Rap und Pop mit großem Ohrwurmpotenzial geschrieben hat.

Dass keine Langeweile aufkommt, ist ein Verdienst von Regisseur Christoph Drewitz und Choreograf Jonathan Huor. Während Drewitz ordentlich auf die Tube drückt und so temporeich wie pointiert inszeniert, sorgt Huor für extrem starke Tanznummern – denn immer dann, wenn die Klasse 10B tanzt, reißt dieses Musical am meisten mit. Als ganz besonders herausragend choreografierte Nummern erweisen sich Songs wie „Kaltes Wasser“, „Zeig uns, was du hast“, der „Sprayersong“ und die indisch angehauchte Nummer „Schula, Schula“, aber ebenso die ganz stark inszenierte „Romeo und Julia“-Sequenz mit einem grandiosen Maskenball, auf dem neben Horrorlegenden wie Freddy Krüger und Ghost Face auch Darth Vader und Spider-Man nicht fehlen.

Besetzt wurden die Rollen typgerecht und authentisch mit jungen Darstellerinnen und Darstellern, die den Filmschauspielern nahekommen, sie aber glücklicherweise nicht kopieren. Die schwierigste Aufgabe hat wahrscheinlich Silvio Römer als Bankräuber und Aushilfslehrer Zeki Müller, dessen Rolle im Film von dem beliebten Elyas M’Barek gespielt wurde. Römer gelingt es, die Erwartungen an seine Rolle zu erfüllen, aber dennoch eine eigene Interpretation zu finden. Er beweist Charme und große Klappe, spielt und singt perfekt, schlägt in dem Song „Wegen dir“ auch durchaus emotionale Töne an und ist – um es im Stil von Zeki Müller auszudrücken – ein richtig cooler „kleiner Pisser“.

An Römers Seite gibt Veronika Hörmann als Lisi Schnabelstedt die überkorrekte Referendarin, die sich glaubwürdig von der Spießerin zu einer lockeren, taffen Frau entwickelt und mit klangschöner Stimme singt. Im Zusammenspiel, unter anderem bei den Nummern „Lisi, beruhig dich“ und „Ganz schön knapp“ laufen beide förmlich zu Hochtouren auf und pushen sich gegenseitig.

„Fack ju Göhte“ (Foto: Nico Moser)

Aus der Darstellerriege herausstechen können weiterhin Florian Heinke als Danger und Jasmin Fihlon als Chantal, die so witzig und überzeugend sind, dass man glatt vergessen könnte, dass sie lediglich Rollen spielen. In der Rolle der strengen und immerzu Klebstoff schnüffelnden Schulleiterin Gerster kostet Nele Neugebauer jede ihrer Szenen aus und kann gesanglich mit ihrem Song „Asapissimo“ punkten.

Mit witzigen Momenten kann auch Johanna Weinstich als Prostituierte Charlie aufwarten. Dabei ist sie mal sehr direkt („Ich hatte dein Sperma schon im Mund, da warst du noch keine 15“), mal total verpeilt („Als ich das Geld auf der Baustelle vergraben habe, stand hier noch keine Turnhalle“) und doch immer liebenswürdig. In ihren Rollen ebenso stark sind Soufjan Ibrahim als dauerhaft onanierender Nerd Jerome, Myriam Akhoundov als witzige Ghettobraut Zeynep und ein wirklich grandioser Malcolm Henry als megacooler Burak, während Romina Markmann als Lisis Schwester Laura schauspielerisch einen starken charakterlichen Wandel vollzieht und den Song „Weg von hier“ mit viel Gefühl interpretiert.

Weil „Fack ju Göhte“ ein starkes Ensemblestück ist, müssen zudem noch Nathalie Nongploi Plüss, Ruth Lauer, Anna Zagler, Henrik Vilhelmsson, Elias Ziegler und Paul Gieringer genannt werden, die durch ihre herausragenden Ensembleleistungen bestechen. Die Leidenschaft und Energie, die alle 16 Darstellerinnen und Darsteller in diese Produktion investieren, ist zu jeder Sekunde spürbar und mitreißend. Kein Wunder, dass das Publikum am Ende regelrecht „geisterkrank“ von den Sitzen springt und diese frische, mitreißende und aberwitzige Show feiert. Eine starke Neuinszenierung!

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".