„Fack ju Göhte“ (Foto: Stage Entertainment)
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Frisch und heutig: „Fack ju Göhte“ in München

„Sie haben Fuck gesagt. Sie müssen ‘nen Euro ins Fickschwein stecken.“ Klare Ansage von Burak aus der Klasse 10B, die er seiner Lehrerin macht. Und dieses Fickschwein, eine Spardose, in die jeder einen Euro werfen muss, der das böse F-Wort verwendet, ist am Vorstellungsende von „Fack ju Göhte“ gut gefüllt. Doch keine Sorge: Auch wenn die Sprache dieses Musicals häufig ordinär ist, hat das Stück wesentlich mehr zu bieten als nur das.

Schon das Theater an sich ist eine Attraktion: Eine Turnhalle mit blauen Hartschalensitzen, auf der Toilette Graffitis, im Foyer ein Snackautomat, in dem man sich fotografieren lassen kann. Wohl eher selten war eine Location für ein Musical so stark auf eine Produktion ausgerichtet wie das Werk 7 Theater in München, wo mit „Fack ju Göhte“ ein erfolgreicher Film seinen Weg auf die Musicalbühne geschafft hat.

Es ist die politische Unkorrektheit, die dem Publikum wahre Lachsalven entlockt. Was Millionen Kinozuschauern gefallen hat, scheint auch auf der Musicalbühne gut anzukommen. Kevin Schroeder hat dazu viele der witzigsten Dialoge aus Bora Dagtekins Filmdrehbuch übernommen sowie das Buch bühnentauglich im Jugendslang weiterentwickelt und Simon Triebel hat treffende Songtexte geschrieben, die frisch und authentisch klingen – das wird vor allem erschreckend deutlich, weil in der besuchten Vorstellung eine Schulklasse sitzt, deren Schüler exakte Abbilder der Bühnencharaktere sein könnten. Musikalisch verpackt wurde alles von Nicolas Rebscher, der eine klasse Mischung aus Hip-Hop, Rap und Pop mit großem Ohrwurmpotenzial geschrieben hat, die von der fünfköpfigen Band unter der Leitung von Philipp Gras genial intoniert wird.

Das Bühnenbild von Andrew D. Edwards ist, weil es in dem recht kleinen Theater keinen Bühnenturm und keine Seitenbühnen gibt, ein Einheitsbühnenbild – die gezeigte Turnhalle erweist sich als einfach und funktionell, sehr improvisiert, aber nie billig wirkend. Auf Mattenwagen werden Möbel und Requisiten hereingefahren, so dass aus der Turnhalle auch ein Klassenraum, das Schulleiterbüro, ein Bordell und sogar ein Schwimmbad entsteht. Eine große Herausforderung gemeistert hat außerdem Reto Tuchschmid, der zeitgemäße und an den Filmvorbildern angelehnte Kostüme entworfen hat, die darüber hinaus noch für schnelle Kostümwechsel geeignet sein müssen.

Dass in der knapp dreistündigen Show niemals Langeweile aufkommt, ist ein Verdienst von Regisseur Christoph Drewitz und Choreograf Fredrik Rydman (der Schöpfer von „Swan Lake Reloaded“ und „The Nutcracker Reloaded“). Während Drewitz ordentlich auf die Tube drückt und sehr temporeich und pointiert inszeniert hat, sorgt Rydman für beeindruckende Tanznummern – denn immer dann, wenn die Klasse 10B tanzt, macht dieses Musical am meisten Spaß.

Als ganz besonders herausragend choreografierte Nummern erweisen sich die Songs „Kaltes Wasser“, der „Sprayersong“, die indische Nummer „Schula, Schula“ sowie das Stück im Stück in Form einer Schulaufführung von „Romeo & Julia“ im Hip-Hop-Stil. Letztere Nummer ist so genial, dass man sich glatt eine eigenständige abendfüllende Version davon wünscht. Doch auch „Kaltes Wasser“ ist extrem stark choreografiert – unter Einbeziehung von Trampolinen leisten die Darsteller hier Unglaubliches, inklusive einer Schlägerei in Slow-Motion.

Spannend ist auch, dass die Autoren bei „Fack ju Göhte“ weitestgehend auf klassische Soli und Duette verzichtet haben. Was stattdessen zu Gehör kommt, ist eine gelungene und extrem stimmige Theatermusik, die die Handlung vorantreibt, immer wieder durch Dialoge unterbrochen wird und bei der immer mehrere Protagonisten singen. Ausnahmen bilden die Soli von Schuldirektorin Gerster und Lisi Schnabelstedt.

Die Darstellerriege kann sich ebenfalls sehen lassen. Man hat dabei wohl ganz bewusst auf große Namen aus der Musicalszene verzichtet und dadurch sehr typgerecht mit authentisch spielenden Darstellern besetzt, die den Filmschauspielern in nichts nachstehen, diese aber keinesfalls kopieren.

Die schwierigste Aufgabe hat sicher Silvio Römer als Bankräuber und Aushilfslehrer Zeki Müller, dessen Rolle im Film von dem beliebten Elyas M’Barek gespielt wurde. Römer gelingt es perfekt, die Erwartungen an seine Rolle zu erfüllen, aber dennoch eine eigene Interpretation zu finden. Er beweist Charme und große Klappe, spielt und singt perfekt, schlägt in dem Song „Wegen dir“ auch mal emotionale Töne an und ist – ganz salopp gesagt – eine unglaublich coole Socke.

Grandios ist er darüber hinaus im Zusammenspiel mit Johanna Spantzel als Lisi Schnabelstedt – ihren großartigsten Moment haben beide mit dem witzigen Song „Ganz schön knapp“, wo sie sich nach der Sprayeraktion näherkommen. Doch auch solo macht Spantzel ihren Job wirklich gut, wenn sie die überkorrekte Lehrerin gibt, sich von der Spießerin zu einer lockeren, taffen Frau entwickelt und mit anmutiger Stimme singt.

Aus der Darstellerriege herausstechen können weiterhin Lukas Sandmann als Danger und Jessica Rühle als Chantal, die beide unglaublich witzig agieren und dabei so überzeugend sind, dass man glatt vergessen könnte, dass sie lediglich Rollen spielen. In der Rolle der strengen Schulleiterin Gerster kostet Elena Zvirbulis jede ihrer Szenen voll aus und beweist einen herrlichen Hang zur Komik, kann aber auch gesanglich in ihrer Nummer „Asapissimo“ punkten – herrlich, wie sie dabei immer wieder Klebstoff schnüffelt.

Mit ebenso witzigen Momenten kann Jennifer Siemann als Prostituierte Charlie aufwarten. Dabei ist sie mal sehr direkt („Ich hatte dein Sperma schon im Mund, da warst du noch keine 15“), mal total verpeilt („Als ich das Geld auf der Baustelle vergraben habe, stand hier noch keine Turnhalle“) und wirkt doch immer sympathisch und liebenswürdig, was für Siemanns schauspielerisches Talent spricht.

In ihren Rollen ebenso stark sind Robin Cadet als onanierender Nerd Jerome, Susi Studentkowski als Ghettobraut Zeynep und Anthony Curtis Kirby als megalässiger Burak, während Sandra Leitner als Lisis Schwester Laura einen starken charakterlichen Wandel vollzieht und den Song „Weg von hier“ gefühlvoll interpretiert.

Was bei „Fack ju Göhte“ schnell klar wird: Hier ist jeder einzelne Mitwirkende auf der Bühne wichtig, um die Geschichte zu erzählen. Deshalb müssen auch die weiteren Darsteller Jessica Lapp, Kiara Brunken, Hannah M. Paul, Fabian Kaiser, Kevin Schmid und Enrico Treuse genannt werden, die allesamt eine herausragende Leistung bringen.

So ist das, was da im Münchner Werksviertel allabendlich geboten wird, also eine durchaus gelungene und unterhaltsame Show. „Fack ju Göhte“ ist unglaublich witzig, mitreißend, frisch und heutig. Dadurch hebt sich das handwerklich gut gemachte und von den Darstellern leidenschaftlich gespielte Musical von anderen Produktionen ab. Und nebenbei ist es absolut genial, wie die Darsteller vor und während der Show mit dem Publikum agieren. Ein großer Spaß!

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".