„Evita“ (Foto: Martin Kaufhold)
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Hektisch und unsympathisch: „Evita“ in Saarbrücken

Warum verdient diese Eva Perón, genannt Evita, ein Musical? Diese Frage dürfte sich das Publikum stellen, das sich „Evita“ in der Inszenierung von Gil Mehmert am Saarländischen Staatstheater in Saarbrücken ansieht.

Zugegebenermaßen ist das dritte Gemeinschaftswerk von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Songtexte) schon recht anspruchsvoll. Es gibt keine Textpassagen, die Musik teilweise opernhaft und auf Chöre ausgelegt und die Szenen sind wie einzelne Momentaufnahmen aus dem Leben der Protagonistin aneinandergereiht. Den Song „Don’t cry for me, Argentina“, der schon zigfach emotional und staatstragend interpretiert wurde, im Ohr, möchte man aber gerne wissen, was es mit dem bis heute anhaltenden Kult um die ehemalige First Lady Argentiniens auf sich hat.

Diesem Wunsch kommt man nach der zweieinhalbstündigen Aufführung mit Pause jedoch kaum näher. Beginnend mit dem Tod Evitas, reiht sich Szene um Szene aneinander, Zeit und Ortsangaben zur Orientierung bleiben Fehlanzeige. Übernimmt sonst die Rolle des Ché die Aufgabe, die Zuschauenden etwas mehr in die einzelnen Szenen einzuführen, werden in Saarbrücken die Programmhefte beim Einlass in den Theatersaal kostenlos verteilt. Das Studium der darin enthaltenen Stückzusammenfassung ist äußerst ratsam, da man sonst überhaupt nicht mehr hinterherkommt dieser Revue durch Peróns Leben zu folgen, auch weil der Musikalische Leiter Nathan Blair das Orchester durch die Partitur hetzt und keine Sekunde zum Verschnaufen lässt.

Neben der allgemeinen musikalischen Hektik ist ein weiterer Schwachpunkt die gesamte Tonabmischung. Vor allem David Jakobs, der den Ché spielt, hat darunter zu leiden. Ist die Daseinsberechtigung seiner Rolle grundsätzlich schon fragwürdig – er ist eben eine in Argentinien und darüber hinaus ebenfalls nicht unbekannte Persönlichkeit – kann man mit dieser auch nicht warm werden, wenn man ein gutes Drittel seines Textes nicht versteht. Eine kleine Chance, Jakobs‘ stimmlichem Potenzial ungestört zu lauschen, ergibt sich im zweiten Akt, wenn er weich und schmachtend „Jung, schön und geliebt“ singt.

Die Auftritte des Opernchors des Saarländischen Staatstheaters sind mehr frustrierend als erfreulich, da sie kaum zu verstehen sind. Teilweise kann man sich damit trösten, dass sie in Spanisch oder Requiem-Passagen in Lateinisch singen. Verbunden mit laienhaft anmutendem Schauspiel und einer Choreografie, die nur als statisch bezeichnet werden kann, mag der Funke von politischer Bewegung im Land und der Kraft des Volkes auch hier nicht überspringen. Das achtköpfige Ensemble neben Chor und Hauptdarstellenden darf sein tänzerisches Tango-Können nur an zwei Stellen und leider eher nebenbei zeigen. Hier wäre mehr Fokus auf Musik und Choreografie wünschenswert gewesen.

In Lautstärke und Deutlichkeit durchgehend zu verstehen, ist Bettina Mönch, die in der besuchten Vorstellung die Evita gibt. Schauspielerisch ist Mönch präsent, ihre Evita strotzt vor übermäßigem Selbstvertrauen, liebens- oder verehrenswerte Züge lässt sie nicht durchblicken. Sie zeichnet eine Person, der es selbstsüchtig gelingt, sich mit der Heirat von Juan Perón in das Zentrum der Macht zu katapultieren. Wirkliche Beziehungen baut die Rolle in dieser Inszenierung dabei zu keinem auf. Weder zu den beiden Männern in ihrem Leben, dem Tangosänger Augustin Magaldi (Max Dollinger) und dem argentinischen Präsidenten Juan Perón (Stefan Röttig), noch zum argentinischen Volk. Auch dem Publikum bleibt der Blick in die wahre Seele von Evita verborgen. Der traurige Höhepunkt ist erreicht, wenn die Peróns sich vom Balkon ihres Palastes dem argentinischen Volk zuwenden und man Evita kein Wort von „Wein nicht um mich, Argentinien“ glaubt, während sie die Hälfte des Liedes mit dem Rücken zum Publikum steht.

Seien es die überwiegend schlechte Tonabmischung, das minimalistische Bühnenbild, die fehlende Dynamik eines Ensembles, die unsympathisch wirkende Interpretation der Hauptrolle oder eine Kombination aus allem, die den Theaterabend ernüchternd ausfallen lassen. Inszenierungen, die eher minimalistisch sind und aufs Wesentliche reduziert wurden, sind per se nicht schlecht. Aber dafür muss es dennoch gelingen, die Zusehenden in die Handlung mitzunehmen und anzusprechen. Von „Evita“ bleibt am Saarländischen Staatstheater einfach zu viel auf der Strecke oder es wird zu sehr auf die eigene Interpretation gesetzt, wo zum Mitdenken jedoch auch keine Zeit bleibt. Was zurückbleibt, ist jedoch das Unverständnis, warum dieser Frau ein Musical gewidmet wurde.

Text: Nathalie Kroj

Nathalie Kroj sammelte Erfahrungen bei thatsMusical und Musical1, bevor sie als Autorin zu kulturfeder.de kam, um hier ihre Leidenschaft für Musicals mit dem Schreiben zu verbinden.