„Evita“ (Foto: Nilz Böhme)
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Alle Erwartungen erfüllt: „Evita“ in Magdeburg

Andrew Lloyd Webbers „Evita“ gilt als Klassiker des Musicalgenres und ist bereits unzählige Male inszeniert worden. Am Opernhaus Magdeburg wird mit der Neuinszenierung von Matthias Reichwald somit auch nicht das Rad neu erfunden. So leistet er sich keine Experimente, sondern bringt eine wirklich solide Produktion mit kleinen Überraschungen auf die Bühne, mit der er alle Erwartungen erfüllen kann.

Es sind die Kleinigkeiten in Reichwalds konventioneller Inszenierung, die für das eine oder andere Aha-Erlebnis sorgen. Dazu gehört zum Beispiel der Auftritt Evitas beim großen Solo „Wein‘ nicht um mich, Argentinien“, der selbstverständlich auf dem Balkon der Casa Rosada stattfindet. Doch dieser wird effektvoll aus dem Schnürboden herabgelassen. Ché wird nicht wie der Freiheitskämpfer Ernesto Guevara, sondern als einfach Bürger und Medizinstudent dargestellt, der mit einem Fahrrad auftritt und sich damit nach Evitas Tod auch aus der letzten Szene verabschiedet – mit der jungen Präsidentengattin auf dem Gepäckträger, die ihren Kopf an seine Schulter lehnt.

Gelungen ist darüber hinaus die Anfangsszene, wenn Argentiniens First Lady wie eine Heilige aus dem Bühnenboden emporfährt, ebenso der Schluss, wenn das Leben an der von einer Krebserkrankung gezeichneten Eva vorüberzieht und ein Tisch für ihre Aufbahrung schon bereitsteht. Es sind solche Details, die das Stück in Magdeburg auszeichnen und interessant werden lassen. Herausragend ist ebenso die Choreografie von Volker Michl, der damit viele Szenen mit Tempo und Dynamik aufwertet.

Das Bühnenbild von Michael Lindner leistet sich ebenfalls keinerlei Ausrutscher. So entstehen aus Treppenelementen, einer halbrunden Fassade mit Rundbogenfenstern und der Drehbühne immer wieder neue authentische Handlungsorte und ermöglichen schnelle Ortswechsel auch inmitten einer Szene. Außerdem zeigt er Videosequenzen von der echten Eva Perón, verwebt damit perfekt fiktive Handlung und reales Leben. Die Kostüme von Tanja Liebermann sind zeit- sowie rollengemäß und sehr hübsch anzusehen.

„Evita“ (Foto: Nilz Böhme)

Besetzt wurden die Rollen aus Musicalgästen und Mitgliedern des Hausensembles. Von ihnen vermag besonders Milica Jovanovic in der Titelrolle zu begeistern. Im Verlauf der Handlung macht sie eine großartige Wandlung durch – vom naiven Dorfmädchen, das den Schritt in die Großstadt wagt, über den Männer für ihre Zwecke missbrauchenden Vamp, bis hin zur beliebten First Lady Argentiniens, die vom Volk wie eine Heilige verehrt wird. Schauspielerisch glänzt Jovanovic durch Authentizität, starke Bühnenpräsenz sowie großartige Mimik und Gestik. Doch auch gesanglich lässt sie nichts zu wünschen übrig. Mit ihrem glockenklaren Sopran lässt sie selbst den viel zu oft gehörten Gassenhauer „Wein‘ nicht um mich, Argentinien“ zu einem Höhepunkt der Show werden.

Die beiden Männer an ihrer Seite sind Dogukan Kuran als Juan Perón und Patrick Adrian Stamme als Ché. Kuran zeichnet ein überzeugendes Bild des Argentiniers und singt mit solidem Bariton, die weitaus dankbarere Rolle spielt allerdings Stamme als Ché. Dieser führt wie üblich als Erzähler durch die Handlung, er kommentiert zynisch und versteht es, beim Durchbrechen der vierten Wand das Publikum durch sein extrovertiertes Spiel – zum Teil sogar inmitten des Parketts – zu packen. Songs wie „Wach auf, Argentinien“ oder „Spendengelder fließen“ interpretiert er mit volltönender Stimme, in die Nummer „Jung, schön und geliebt“ hingegen legt er einen schönen Schmelz. Aleksandr Nesterenko als Tangosänger Magaldig und Rosha Fitzhowle als Peróns Geliebte können buchbedingt nicht viel von sich zeigen, gefallen aber mit ihren klassisch geschulten Stimmen.

Im Orchestergraben sorgt die Magdeburger Philharmonie unter der Leitung von Pawel Poplawski, der seine Musikerinnen und Musiker mit Drive durch die anspruchsvolle Partitur von Andrew Lloyd Webber führt, für einen wohlklingenden satten Sound. Insgesamt also eine durchweg gelungene Sache, diese „Evita“ in Magdeburg.

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".