„Bis nach Meppen“ (Foto: Dominik Lapp)
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Gelungenes Site-Specific-Musical: „Bis nach Meppen“ in Meppen

Um Theater lebendig zu halten, lassen sich Kreative immer neue Formen und Formate einfallen. Unter einem Site-Specific-Musical versteht man beispielsweise eine Inszenierung, die aus einem Raum außerhalb des klassischen Theatersaals entsteht. Mit „Bis nach Meppen“ feierte unter der Regie von Lars Linnhoff jetzt eine solche Produktion ihre Uraufführung im Historischen Rathaus Meppen. Beim Publikum kommt dieses immersive Theater-Erlebnis sehr gut an.

In dem Musical von Michael Potthast (Musik, Buch und Songtexte) und Florenz Potthast (Songtexte) ist man sofort mitten in der Story. Im Historischen Rathaus Meppen ist das Restaurant Resto-Bar beheimatet. Genau dort trifft sich der fiktive Abschlussjahrgang 1969 zum Klassentreffen. Direkt nach dem Betreten der Location werden wir von zwei Darstellerinnen mit einem Getränk begrüßt und erhalten ein Namensschild. Mit den Worten „Mensch, Werner, du hast dich aber gut gehalten“ lebt man nun für zweieinhalb Stunden mit einem neuen Vornamen unter lauter fremden Menschen, mit denen man angeblich vor 54 Jahren den Schulabschluss gemacht hat.

Das Ungewöhnliche bei solch einem immersiven Theater-Erlebnis ist das Fehlen der Bühne. Das Publikum taucht mitspielend in die Story ein. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können sich mit den Darstellerinnen und Darstellern unterhalten, innerhalb bestimmter Grenzen in die Handlung eingreifen und eine genauso aktive wie kreative Rolle übernehmen. So entstehen den ganzen Abend über unterwartete und authentische Erlebnisse.

Weil die insgesamt sieben Mitwirkenden ihre Rollen so echt spielen, fühlt man sich sofort wohl und integriert, man kommt mit ihnen und den anderen Menschen am Tisch ins Gespräch. Durch die heimelige Atmosphäre im Gastraum der Resto-Bar vergisst man tatsächlich die Welt da draußen und taucht ein in die Klassengemeinschaft von 1969. Hedwig (Ulla Kleinlosen) und Paula (Birgit Schulz) – ihres Zeichens die Klassenbeste in Deutsch – heißen uns willkommen und stellen das Flying Buffet vor. Denn wie es sich für ein Klassentreffen gehört, wird auch lecker gespeist und getrunken. Von der Kellnerin Julia (Elena Fehrmann) werden in kleinen Gläsern Salate, Käsesuppe, Pulled Pork auf Sauerkraut und Kartoffelstampf, Biergulasch sowie Emsländer Tiramisu und eine Snackplatte serviert.

„Bis nach Meppen“ (Foto: edition mp)

Als Heinz (Hermann Aehlen), der schon zu Schulzeiten ständig zu spät kam, natürlich auch beim Klassentreffen mit Verspätung eintrifft, muss er direkt – wie es sich für echte Emsländer gehört – eine Runde Kurze ausgeben. Stadtführerin Maria (Julia Sánchez-Haas) besingt gerade die Meppener Sehenswürdigkeiten, als die Amerikanerin Emma (Beatrix Meyer) mit ihrer Tochter Sophia (Theresa Borgmann) in die Feier platzt und zum Bleiben aufgefordert wird. Gemeinsam begeben sich die Mitwirkenden und das Publikum auf eine Spurensuche nach Emmas Vater, denn ein Foto und eine alte Postkarte führten sie nach Meppen. Bis zum Ende des Stücks erfährt die Ami-Lady zwar nicht, wer ihr Dad ist, doch hat sie bis dahin eine Menge über die Stadt im Emsland erfahren – genauso wie die Gäste.

In dem Buch von Michael Potthast, das er gemeinsam mit Lars Linnhoff für das immersive Erlebnis bearbeitet hat, gibt es keine Längen. Es ist gespickt mit Anekdoten und Pointen, die beim Publikum super zünden. Potthasts Musik, die von Jason Weaver (Dirigent der Symphoniker Hamburg) kongenial auf dem E-Piano gespielt wird, ist eingängig und beinhaltet mit „Home is where the Heart is“ und „Bis nach Meppen“ zwei Nummern mit großer Ohrwurmqualität.

Bei den sieben Mitwirkenden handelt es sich zwar durchweg um Amateure, doch sie alle haben ihre Rollen mit Lars Linnhoff so intensiv einstudiert, dass sie unglaublich authentische Charaktere zeichnen, die mit Witz, Esprit und Wärme überzeugen. Einzelne an dieser Stelle besonders positiv hervorzuheben, würde die schauspielerische Gesamtleistung des Ensembles schmälern, doch für ihre gesangliche Qualität müssen zumindest Elena Fehrmann als Julia und Theresa Borgmann als Sophia explizit erwähnt werden.

Was bleibt am Ende? Sicherlich ist „Bis nach Meppen“ nicht das größte Musical. Das will es auch gar nicht sein. Sicherlich würde es außerhalb der emsländischen Stadt nicht funktionieren. Das soll es auch gar nicht. Denn das Stück funktioniert dort, wo es uraufgeführt wurde, mit dem spannenden Inszenierungskonzept von Lars Linnhoff bestens und sollte als touristische Attraktion regelmäßig im Historischen Rathaus gezeigt werden. Vor allem aber merkt man dieser Produktion an, wie viel Leidenschaft und Herz in ihr steckt.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".