„Berlin Berlin“ (Foto: Dominik Lapp)
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Liebeserklärung an die Hauptstadt: „Berlin Berlin“ auf Tour

Heute ist Berlin arm, aber sexy. In den Zwanzigerjahren des zurückliegenden Jahrhunderts war die Metropole ebenfalls arm, aber reich an Unterhaltungskunst – denn es waren schließlich die Goldenen Zwanziger. Es war eine Zeit voller Skandale, die BB Promotion jetzt in der Musical-Revue „Berlin Berlin“, die sich zurzeit auf Tour befindet, wiederaufleben lässt. Es ist eine Liebeserklärung an die Hauptstadt.

Das eher dürftige Buch von Christoph Biermeier, der auch Regie führt, ist zu verzeihen, weil das Konzept von Martin Flohr einen Fokus auf Musik, Tanz und Shownummern legt. Das Bühnenbild von Conny Kraus zeigt Treppen, Säulen, einen glitzernden Sternenhimmel und nimmt das Publikum mit in den verruchten Berliner Admiralspalast, wo die Herren Smoking und Frack und die Damen funkelnde Charlestonkleider oder das berühmte „kleine Schwarze“ tragen (Kostüme: Katia Convents, Bahram Zamani).

„Berlin Berlin“ (Foto: Dominik Lapp)

Im hinteren Bereich der Bühne spielt eine achtköpfige Band unter der Leitung von Jeff Frohner mehr als 50 flott interpretierte Songs. Dabei erklingen amerikanische Jazz-Standards wie „Puttin’ on the Ritz“, „Let’s misbehave“ oder „Ain’t misbehavin‘“. Zu bemängeln ist dabei allerdings, dass die Lieder keiner Dramaturgie folgen und zum Teil völlig aus dem Zusammenhang gerissen wurden. So erschließt sich nicht, warum im zweiten Akt plötzlich zu Ralph Benatzkys „Im weißen Rössl am Wolfgangsee“ in Dirndl und Lederhose geschunkelt und gejodelt wird oder die 1928 verstorbene Anita Berber (hinreißend gesungen von Jil Clesse) den erst 1929 veröffentlichten Song „Minnie the Moocher“ singt. Auch die zu Gehör kommenden Songs aus dem Musical „Cabaret“ wurden erst 1966 veröffentlicht, behandeln aber thematisch immerhin die Zwanziger.

Sieht man von diesen dramaturgischen Unstimmigkeiten einmal ab, verspricht „Berlin Berlin“ jedoch gute Unterhaltung, was der umwerfenden Cast zu verdanken ist. Mit unbändiger und geradezu überbordender Energie tanzen sie Charleston und Lindy Hop (Choreografie: Matthew Cole) und bringen das Lebensgefühl der Roaring Twenties exzellent über die Rampe.

Durch den Abend führt ein Conférencier, der sich Admiral nennt und von Simon Stockinger hervorragend gespielt und gesungen wird. An seiner Seite glänzt der sympathische Sebastian Prange als Sidekick Kutte („Wie Nutte, nur mit K“), der mit seinem „Lachfoxtrott“ für wahre Lachsalven sorgt, weshalb er ihn später noch einmal wiederholt. Außerdem darf der ESC-Kandidat Jendrik Sigwart erneut zur Ukulele greifen und liefert mit „Mein Bruder macht im Tonfilm die Geräusche“ einen starken Auftritt, bei dem er fantastisch singt und steppt.

„Berlin Berlin“ (Foto: Dominik Lapp)

Ein weiteres Highlight sind die Comedian Harmonists, dargestellt von Kevin Dickmann, Jendrik Sigwart, Marco Trespioli, Lucca Kleimann und Alexandre Pierre, die mit den bekannten Gassenhauern wie „Mein kleiner grüner Kaktus“, „Veronika, der Lenz ist da“ oder „Ich wollt, ich wär ein Huhn“ begeistern. Weitere Glanzpunkte setzen Jil Clesse als Anita Berber, Lena Müller als Marlene Dietrich und Paige Fenlon als Josephine Baker. Vor allem Fenlon sprüht tänzerisch wie gesanglich vor Energie, aber auch Clesse wird für ihre Darbietung von „Cabaret“ vom Publikum gefeiert.

Je weiter der Abend voranschreitet, desto mehr wird man an die Handlung von „Cabaret“ erinnert. Denn dort löscht der sich ausbreitende Nationalsozialismus den Berliner Tanz auf dem Vulkan genauso aus wie in „Berlin Berlin“. Nachdem ein Nationalsozialist das Auditorium stürmt und rassistische Parolen in die Richtung von Josephine Baker abfeuert, womit der Darsteller für einen kurzen Schockmoment beim Publikum sorgt, bleibt von der Truppe auf der Bühne nur eine Silhouette, die hinter einer riesigen Hakenkreuzfahne „Irgendwo auf der Welt“ singt. Gänsehaut!

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".