
Der Premierenstress ist greifbar: Probenbesuch bei „Kein Pardon“ in Hamburg
Die Sitzreihen sind leer, im Zuschauerraum summen Scheinwerfer und Lichtpulte, auf einem Monitor flimmert die Großaufnahme eines Darstellers. Anstelle neugieriger Premierenbesucher sitzen derzeit Lichttechniker, Toningenieure und Regieassistenz hinter dem Regiepult – zwischen Kabeln, Kaffee und konzentriertem Chaos. In fünf Tagen hebt sich hier im First Stage Theater in Hamburg der Vorhang für das Musical „Kein Pardon“. Noch wird geprobt – und wie!
Die Nummer ist ein funkelnder Rausch aus Federn, Frack und Funk: „Witzigkeit kennt keine Grenzen“, die große Shownummer des Stücks, bringt das Ensemble ins Schwitzen – und den Zuschauerraum zum Glitzern. Tänzerinnen feilen an Takt und Tempo, die Choreografie sitzt schon nahezu perfekt. Während auf der Bühne der Glamour regiert, wird hinter den Kulissen hochkonzentriert gearbeitet. Lichtstimmungen werden programmiert, Mikrofonverteilungen getestet, Übergänge optimiert. Der Premierenstress ist greifbar – und gleichzeitig liegt eine gewisse Vorfreude in der Luft.
„Ich mag es, wenn ein Musical mit einer großen Nummer anfängt“, sagt Regisseurin Franziska Kuropka mit leuchtenden Augen. Das tut es – sie hat das Opening aus der Düsseldorfer Urversion zurückgeholt, das zwischenzeitlich aus dem Stück gestrichen worden war. Schließlich will sie ihr Ensemble zeigen: 35 junge Absolventinnen und Absolventen der Stage School Hamburg stehen auf der Bühne, viele in Mehrfachrollen. Eine große Cast, eine große Aufgabe.

Zwischen Comedy und Tragik
Das Musical, basierend auf Hape Kerkelings gleichnamigem Kultfilm, ist mehr als eine nostalgische Revue. Es ist eine bitterböse Satire auf die Medienbranche, ein Abgesang auf den Fernsehtraum – und eine Hommage an das Showbiz selbst. Kein Wunder, dass das Bühnenbild an eine TV-Kulisse erinnert und das Bühnenportal aus Fernsehern besteht.
„Was passiert, wenn ein lang gehegter Traum in Erfüllung geht – und sich dann als ganz anders entpuppt?“ Diese Frage ist es, die Franziska Kuropka an dem Stück reizt. „Es ist eine klassische Heldenreise“, erklärt sie im Gespräch mit unserer Redaktion. „Der Held kommt verändert zurück. Und darunter liegt, trotz aller Komik, auch eine große Tragik.“
Diese Mischung aus Witz und Wunde verlangt viel von den Darstellerinnen und Darstellern – allen voran von Nik Breidenbach, der in der Doppelrolle als Heinz Wäscher und Uschi Blum zu sehen ist. Breidenbach, bekannt aus unzähligen Musicals und Comedy-Formaten, bringt nicht nur Bühnenerfahrung, sondern auch ein Gespür für Timing und Emotion mit. „Es ist nur dann wirklich komisch, wenn die Figur auch wirklich eine Not hat“, sagt er. „Wenn sie leidet, wenn sie scheitert – dann wird es berührend.“

Die Chemie stimmt
Was bei den Proben auffällt: Die jungen Mitwirkenden werfen sich mit vollem Einsatz in das Stück – und in Figuren, die altersmäßig oft weit von ihnen entfernt sind. „Ich finde es wahnsinnig mutig, dass sie sich für Comedy entschieden haben“, betont Kuropka. „Und dann auch noch für Rollen über 25 – bis hin zu Oma und Opa!“
Gerade deshalb war es ihr wichtig, mit Nik Breidenbach einen erfahrenen Gast auf die Bühne zu holen. „Ich durfte mir jemanden wünschen – und ich wollte unbedingt ihn“, sagt sie. „Nik bringt Talent und Herz mit. Er ist einfach der perfekte Partner für dieses Ensemble.“
Die Chemie zwischen Regie und Hauptdarsteller stimmt. Breidenbach lobt die Zusammenarbeit in höchsten Tönen: „Franzi hat wirklich mit jeder einzelnen Person im Ensemble gearbeitet. Das ist leider keine Selbstverständlichkeit. Viele kümmern sich nur ums große Ganze – Franzi macht beides. Das war für mich richtig inspirierend.“

Zwischen Nostalgie und Neuerfindung
Auch inhaltlich bewegt sich die Inszenierung zwischen Alt und Neu: Zwar gibt es Vorgaben vom Lizenzgeber wie beispielsweise für den lustigen Glückshasen mit wackelnden Ohren, doch Kuropka durfte auch viele eigene Akzente setzen. Dass sie ein paar Dinge angepasst hat, war möglich dank des Vertrauens von Thomas Hermanns, dem Autor der Musicalfassung.
Und der Blick zurück? „Den Film schaue ich mir nicht mehr an“, sagt Nik Breidenbach entschieden. „Ich kenne den auswendig. Aber ich mach’s jetzt auf meine Weise.“ Auch mit dem Erbe von Heinz Schenk und Dirk Bach geht er gelassen um: „Wenn man immer denkt ‚Das gab’s schon mal‘, dann darf man ja gar nichts mehr spielen.“
Noch ist nicht alles fertig. Es wird an Übergängen gefeilt, Requisiten getestet, die Band probt parallel, notiert, stimmt sich ab. Und doch wirkt schon jetzt alles wie ein riesiges, schillerndes Versprechen. Wenn die Premiere im First Stage Theater gefeiert wird, darf sich das Publikum auf ein Musical freuen, das nicht nur komisch ist – sondern auch klug, kritisch und überraschend bewegend. „Ich bin einfach Fan dieses Stoffes“, sagt Franziska Kuropka. „Und ich bin Fan dieser jungen Leute. Sie haben so viel Energie, so viel Ernsthaftigkeit – und vor allem: richtig viel Spaß.“ Und genau das spürt man bei jeder Minute der Probe.
Text: Dominik Lapp