„Hamilton“ (Foto: Dominik Lapp)
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Die Premiere rückt näher: Probenbesuch bei „Hamilton“ in Hamburg

Es ist das wohl angesagteste Musical der letzten Jahre und damit richtig heißes Zeug, das schon bald nach Hamburg kommen wird: „Hamilton“ erzählt auf eine völlig neue Art die Story von Alexander Hamilton, der als einer der Gründerväter und erster Finanzminister der USA in die Geschichte einging. Das Ensemble probt mit dem internationalen Kreativteam zurzeit noch in der Hamburger Speicherstadt – genauer gesagt: im Raum „New York“ in der 5. Etage, direkt unter dem Dach der Unternehmenszentrale von Stage Entertainment.

Warum man noch nicht im Operettenhaus probt, wo „Hamilton“ ab 6. Oktober 2022 aufgeführt wird, erklärt Stage-Sprecher Stephan Jaekel so: „Die Proben haben bereits begonnen, als noch das Musical ‚Tina‘ im Operettenhaus lief.“ Also habe man die eine Produktion gespielt, während man in der Speicherstadt schon parallel die nächste vorbereite. Inzwischen ist „Tina“ abgespielt und das Bühnenbild für „Hamilton“ im Operettenhaus wird aufgebaut. Sobald das steht, ziehen die Darstellerinnen und Darsteller ins Theater um, treffen dort erstmals mit dem Orchester zur so genannten Sitzprobe zusammen – übrigens ein deutscher Begriff, der auch im englischsprachigen Raum übernommen wurde.

16 Theaterschneidereien fertigen Kostüme

Bevor die Sängerinnen und Sänger auf die Musikerinnen und Musiker treffen, proben sie unterm Dach zurzeit noch zu Klavierbegleitung. Das ist üblich im Musiktheater. Weil „Hamilton“ allerdings so ein rhythmusgetriebenes Stück ist, werden die Klavierklänge bei der Probe durch Beats und Rhythmen aus einem Laptop unterstützt. Die anwesenden Medienschaffenden, die Stage Entertainment an einem Mittwochmorgen auf die Probebühne bestellt hat, bekommen so einen ersten Eindruck davon, dass dieses Musical anders ist als alles bisher Dagewesene.

„Hamilton“ (Foto: Dominik Lapp)

Während die Proben auf Hochtouren laufen und im Theater das Bühnenbild entsteht, sind 16 Theaterschneidereien damit beschäftigt, die zahlreichen Kostüme im Look und Feel der amerikanischen Revolution fertigzustellen. „Wir liegen gut in der Zeit. Bald kommt das dazu, was wir auf der Probebühne nicht haben: Kostüme, Licht, Sound, Orchester und Backstage-Crew“, sagt Regisseur Patrick Vassel.

Viel Arbeit und höchste Konzentration

„Die Proben laufen ziemlich gut, gestern sind wird mit dem zweiten Akt fast komplett durchgekommen“, erzählt Gino Emnes, Darsteller des Aaron Burr. Das Musical umfasst rund 50 Songs, das Libretto besteht aus mehr als 27.000 Wörtern, was in etwa doppelt so viel Text ist als bei anderen Musicals. Für die Darstellerinnen und Darsteller bedeutet das viel Arbeit und höchste Konzentration – insbesondere im Hinblick auf die schnellen Rap-Parts. Benét Monteiro, der die Titelrolle übernimmt, bringt es auf den Punkt: „Ich habe momentan kein Privatleben. Wenn ich nach der Probe nach Hause komme, mache ich mir etwas zu essen und lerne danach wieder Text, damit alles sitzt.“

„Hamilton“ (Foto: Dominik Lapp)

Sein Kollege Charles Simmons, der George Washington spielt, sagt dazu: „Mit den Raps ist es eine Menge Text, den wir mit dem Gesang und der Choreografie vereinen müssen. Am Anfang war es sehr viel und schwierig zu merken, doch es ist eine Sache des Übens.“ Bei Chasity Crisp, Darstellerin der Angelica Schuyler, ist die Textmenge ebenfalls Thema: „Ich muss noch lernen, mit dem Text zu atmen, weil es auf Deutsch viel mehr Wörter sind. Es ist etwas schwer zu atmen, aber das bekommen wir hin.“

Choreografie ist wichtiger Bestandteil der Show

Die Probebühne, die in der Speicherstadt aufgebaut wurde, ist ein Original aus den USA. Ihr Herzstück: zwei Ringplattformen, die in unterschiedliche Richtungen rotieren können und in so gut wie jeder Szene in Bewegung sind. Sie machen die Tanzszenen des Musicals besonders anspruchsvoll. „Die Choreografie ist ein extrem wichtiger Bestandteil der Show. Was sie bei ‚Hamilton‘ so besonders macht, ist die Fähigkeit, den Subtext, die Intention und tiefere Bedeutung hinter dem Fundament der Show – also der Musik, den Texten und dem Buch – zu präsentieren,“ erklärt Choreograf Michael Mindlin.

„Hamilton“ (Foto: Dominik Lapp)

Wie stark die Choreografie ist, wird beim Probenbesuch schnell deutlich. „Yorktown“ heißt der Song, an dem gerade gearbeitet wird. Darin wird die Schlacht von Yorktown im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg nacherzählt. Alexander Hamilton, der von George Washington zum Kommandanten der Kontinentalarmee befördert wurde, trifft sich mit Marquis Lafayette, um die Pläne für die Zeit nach dem bevorstehenden Ende des Krieges zu besprechen. „Das ist einer von mehreren sehr dynamischen Momenten dieser Show, in der es immer vorwärts geht“, so Mindlin.

„Hamilton“ ist modern und heutig

Weil bei der Probe noch keine Mikrofone zum Einsatz kommen, ist vom deutschen Text, an dem drei Jahre gefeilt wurde, nicht alles zu verstehen. Aber was davon zu verstehen ist, klingt schon richtig gut. Während nicht wenige „Hamilton“-Fans bereits im Vorfeld bedauerten, dass Lin-Manuel Mirandas englische Lyrics übersetzt wurden, stehen die Darstellerinnen und Darsteller voll hinter der Entscheidung zur Übersetzung. „Es ist gut, dass es übersetzt wurde, weil es so viel Text ist und so schnell geht, dass man nicht alles verstehen würde“, sagt Gino Emnes. Ähnlich sieht es Charles Simmons: „Es ist auf Englisch so viel Text, dass man wahrscheinlich die Hälfte nicht versteht. Es muss auf Deutsch sein, damit man der Geschichte folgen kann.“

„Hamilton“ (Foto: Dominik Lapp)

Und wie ist der internationale Hype um „Hamilton“ zu erklären? Warum ist es die wohl heißeste Show am Broadway? „Die Show ist anders, weil sie komplett durchkomponiert ist – 50 Songs hintereinander. Das macht es für uns Darsteller spannend, aber letztendlich genauso für das Publikum“, sagt Simmons. „Die Stilistik macht ‚Hamilton‘ so besonders. Der Musikstil ist anders, die Erzählform bedient sich eines anderen Stils. Es ist eine neue Form von Musical – sehr modern und heutig“, so Gino Emnes. „Die Art und Weise, wie wir Geschichte und Theater betrachten, wurde durch ‚Hamilton‘ verändert. Es ist eine historische Geschichte, die mit moderner Musik erzählt wird“, sagt Chasity Crisp. „Man denkt, dass es nicht geht, eine Geschichte wie ‚Hamilton‘ mit Rap und R’n’B zu erzählen – aber es funktioniert so gut“, findet Hauptdarsteller Benét Monteiro.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".