„The Mad Ones“ in Hildesheim (Foto: Dominik Lapp)
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Mut, Herz und Kartons: „The Mad Ones“ in Hildesheim

Mit ihrer ersten Regiearbeit wagt sich Elisabeth Köstner, selbst Musicaldarstellerin, an ein noch junges und selten gespieltes Juwel des modernen Musicals: „The Mad Ones“ von Kait Kerrigan (Buch und Liedtexte) und Bree Lowdermilk (Musik). Das Coming-of-Age-Musical feierte jetzt im Theaterhaus Hildesheim seine deutschsprachige Erstaufführung in der Übersetzung von Patrik Keufen, Hans Tilmann Rose und Hanna Konrad.

Das 2017 am Off-Broadway uraufgeführte Werk erzählt die Geschichte der 18-jährigen Samantha Brown, die am Steuer ihres Autos sitzt, bereit, ihr Elternhaus zu verlassen – oder vielleicht auch nicht. In einer Art Gedankenreise durchlebt sie Erinnerungen an ihre ungestüme beste Freundin Kelly, ihren liebevollen Freund Adam und ihre kontrollierende, aber zugleich besorgte Mutter.

Elisabeth Köstner ist nicht nur Regisseurin und Produzentin der Show, sondern zeichnet auch für das Bühnenbild verantwortlich – und triff eine kluge, poetische Entscheidung: Umzugskartons in allen Varianten. Zusammengeklappt, aufgestapelt, gefüllt oder leer, werden sie zu Symbolen für Aufbruch, Erinnerung und Ordnung im Chaos. Mit wenigen Requisiten und viel Fantasie entstehen ganze Welten: Ein Auto aus Kartons und einem Lenkrad, ein Jugendzimmer, ein Highway. Das zeigt nicht nur handwerkliches Können, sondern auch eine beeindruckende visuelle Erzählkraft.

Besonders bemerkenswert ist Köstners Personenführung: Jede Bewegung, jede Geste wirkt bewusst, aber nie gekünstelt. Sie versteht es, Nähe und Distanz genau zu dosieren – unterstützt durch die intime Atmosphäre des kleinen Theaterhauses mit weniger als 100 Sitzplätzen. Das Publikum sitzt so nah, dass man jedes Zögern, jedes Aufatmen miterlebt.

Die Choreografie von Kati Heidebrecht fügt sich behutsam ein: Sie ist zurücknehmend, pointiert und oft humorvoll, ohne die Emotionalität der Szenen zu stören. Hier bewegt sich niemand, um zu glänzen, sondern um zu erzählen.

Musikalisch wird die Produktion getragen von Lukas Voss (Klavier) und Johannes Euler (Violine). Statt eines Schlagzeugs wird auf den Kartons getrommelt – eine charmante, überraschend wirkungsvolle Idee, die den pulsierenden Pop-Sound des Originals in ein kammermusikalisches Klangbild übersetzt. So entsteht eine Musik, die zugleich intim und lebendig klingt.

Auch die vierköpfige Cast kann sich sehen und hören lassen: Laura Saleh verleiht der zerrissenen Samantha eine berührende Mischung aus Nachdenklichkeit und Entschlossenheit. Ihr Gesang ist klar, emotional und glaubwürdig. Lisa Maria Hörl bringt als Kelly das wilde, funkelnde Gegenstück auf die Bühne – ein Wirbelwind mit Herz und Humor. Julian Stöcklein überzeugt als liebevoller Adam durch subtile, ehrliche Spielweise, während Judith Bloch als Mutter die Balance zwischen Strenge und Verletzlichkeit fein austariert.

„The Mad Ones“ am Theaterhaus Hildesheim ist ein echtes Kleinod – und mit ihrer starken Inszenierung beweist Elisabeth Köstner, dass Theater nicht Größe, sondern Visionen braucht. Ohne institutionelle Mittel, aber mit Leidenschaft, Ideenreichtum und Präzision entsteht ein mutiger, bewegender und kluger Abend, der genauso berührt wie unterhält. Prädikat: Besonders wertvoll!

Text: Dominik Lapp

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Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".