„Mata Hari“ (Foto: Dominik Lapp)
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Musical von internationalem Format: „Mata Hari“ in München

Der als Margaretha Geertruida „Griet“ Zelle geborenen Tänzerin Mata Hari lag Anfang des 20. Jahrhunderts ganz Paris zu Füßen. Während des Ersten Weltkriegs wurde sie jedoch unter Spionageverdacht festgenommen und nach einem juristisch fragwürdigen Prozess hingerichtet. Als Auftragswerk des Gärtnerplatztheaters München nahmen sich Marc Schubring (Musik) und Kevin Schroeder (Buch und Songtexte) dem Stoff an und schufen das Musical „Mata Hari“, das im März 2023 uraufgeführt wurde.

Bis heute umgibt ein dichtes Netz aus Sage und Fiktion die Figur Mata Hari. Schubring und Schroeder erzählen, wie Griet zu diesem Mythos wurde und transportieren die Story dafür ins Hier und Jetzt. Weil sie eine Frau gewesen ist, die ihrer Zeit weit voraus und besessen von Aufmerksamkeit, Show und Selbstverwirklichung war, stellen sie ihr den Popstar Mata Hari gegenüber und eröffnen damit zwei Ebenen der Erzählung. Das ist einerseits ziemlich konfus und wird nicht immer stringent erzählt, andererseits aber geradezu genial – wenn man sich darauf einlässt. Allerdings sollte am Buch noch dringend nachgeschärft werden, da zum Beispiel nicht von Anfang an klar ist, dass Griet die spätere Doppelspionin ist.

So erlebt das Publikum also Griets Alltag in der niederländischen Kolonie Javas, wo ihr Ehemann Rudolph – genannt Johnny – im Einsatz ist. Dort versucht sie ihren Platz in der konservativen Gesellschaft zu finden, erlebt häusliche Gewalt in der schwierigen Ehe und muss den Tod ihres Babys verkraften. Dieser Handlungsstrang wird immer wieder durchbrochen von der Popsängerin Mata Hari, die in aufsehenerregenden Bühnenshows wie eine Kommentatorin auftritt, um Gesehenes zusammenzufassen, zu analysieren oder Gefühle zu transportieren.

„Mata Hari“ (Foto: Marie-Laure Briane)

Musikalisch unterscheiden sich die beiden streng voneinander getrennten Handlungsebenen: Während die Ebene auf Java mit groß orchestrierten Nummern im Stil von Lloyd Webber oder Sondheim erzählt wird, sind die Shownummern eingängige Elektro-Popsongs im Stil von Helene Fischer (produziert von Kraans de Lutin), die klingen, als seien sie dem ESC entliehen worden. Das Orchester des Gärtnerplatztheaters unter der Leitung von Andreas Partilla hat so sehr ordentlich zu tun und spielt Marc Schubrings Partitur mit Leidenschaft und Präzision.

Die Bühne wird dominiert von einer treppenartigen Konstruktion (Bühnenbild: Karl Fehringer, Judith Leikauf) aus mehreren Elementen, die um 360 Grad gedreht werden kann und so sehr schnell neue Szenen entstehen und zwischen den Handlungsebenen wechseln lässt. Verschiedenförmige Versatzstücke, die aus dem Bühnenturm heruntergelassen werden, dienen zudem als Projektionsflächen für Videoeinspielungen von Zeugenaussagen im Prozess gegen Mata Hari.

Als optisch stärkste Szene erweist sich der Song „Schwerelos“, bei dem die Titelfigur auf einem Hubpodium – begleitet von reichlich Trockeneisnebel – emporfährt und zum Schluss der Nummer während der Abwärtsfahrt auf der sich drehenden Bühne im Black verschwindet. Sehenswert sind außerdem die Kostüme von Alfred Mayerhofer, die sich auf der einen Handlungsebene stilistisch an der Mode des frühen 20. Jahrhunderts orientieren und auf der anderen Ebene moderne Einflüsse mit Lack und Leder integrieren.

„Mata Hari“ (Foto: Marie-Laure Briane)

Was schnell deutlich wird: Buchautor Kevin Schroeder hat mit Griet und Mata Hari zwei unglaublich starke Frauenrollen geschaffen, was auf deutschen Musicalbühnen längst überfällig war und künftig hoffentlich noch viele Nachahmer finden wird. Dass man mit Florine Schnitzel und Ann Sophie Dürmeyer auch noch zwei so leistungsfähige Darstellerinnen verpflichten konnte, ist ein echter Glückstreffer.

Schnitzel überzeugt mit ihrer entschlossenen Darstellung der Griet und wandelt ihren Charakter von der verliebten Ehefrau über das Opfer häuslicher Gewalt hin zu einer durchsetzungsstarken Frau, die ihren Mann in die Schranken weist. Die verschiedenen Charakterzüge, die sie zeigt, sind jederzeit nachvollziehbar und authentisch. Doch auch gesanglich meistert Schnitzel ihren Part mit Bravour und erntet insbesondere für ihr Solo am Ende des ersten Akts lautstarken Applaus.

„Mata Hari“ (Foto: Dominik Lapp)

Armin Kahl verleiht seinem Rudolph eine ungeahnte Tiefe und zeichnet dadurch das glaubwürdige Porträt eines gewalttägigen und sich selbst überschätzenden Ehemanns. Gesanglich setzt er viele Glanzpunkte und harmoniert exzellent mit Florine Schnitzel. Eine genauso gute Kontur verleiht Dagmar Hellberg der verwitweten Offiziersgattin Friga van Rheede, während in den kleineren Rollen Erwin Windegger als General Cornelis Fock, Gunnar Frietsch als Leutnant Jeroen Kuipers und Xiting Shan als Tagesmutter Merbati positiv in Erinnerung bleiben.

Schauspielerisch nicht groß gefordert ist Ann Sophie Dürmeyer, weil sie sich als Popstar Mata Hari auf ihren Gesang zu beschränken hat – und darin versteht sie sich nur allzu fabelhaft. Immerhin stolze elf Songs hat sie zwischen den Szenen der ersten Handlungsebene zu performen, was ihr mit enormer Brillanz gelingt.

Nachdem die beiden Ebenen der Story getrennt behandelt wurden, gibt es zum Ende des zweiten Akts plötzlich einen krassen Bruch: In einem Streit zwischen Rudolph und Griet wird Letztere plötzlich zu Mata Hari – bei der finalen Hinrichtung verabschiedet diese sich dann mit einem letzten Popsong, bevor beide Frauen noch ein wunderschönes Duett interpretieren. Den Mythos klären die Autoren des Stücks zwar nicht auf, doch haben sie gemeinsam mit Regisseurin Isabella Gregor und Choreograf Adam Cooper ein spannendes und intelligentes Spektakel von internationalem Format geschaffen. Freilich sollte man mit Superlativen sparsam umgehen, aber mit ein paar Kürzungen und einer weniger konfus sowie stringenter erzählten Handlung könnte „Mata Hari“ vielleicht sogar das Zeug für den Broadway oder das West End haben. Dem Gärtnerplatztheater kann jedenfalls nur gratuliert werden zu solch einer gelungenen Musical-Uraufführung.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".