
Kluge Symbolik: „Evita“ in Augsburg
Das Staatstheater Augsburg zeigt das Musical „Evita“ unter freiem Himmel in einer ambitionierten Inszenierung von Florian Mahlberg, die sich nicht mit bloßer Reproduktion zufriedengibt. Stattdessen wagt sie neue Perspektiven, stellt kluge Fragen und verleiht dem Klassiker von Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Libretto) in der deutschen Fassung von Michael Kunze eine zeitgemäße Note.
Die Freilichtbühne am Roten Tor bietet dabei eine Kulisse, wie sie passender kaum sein könnte: Von historischen Mauern umgeben, öffnet sich der Blick auf eine argentinisch inspirierte, leicht verfallene Häuserzeile mit Balkonen – ein Bühnenbild von Karel Spanhak, das die Atmosphäre von Buenos Aires heraufbeschwört und den morbiden Glanz wie auch den sozialen Abgrund jener Zeit sichtbar macht. In dieser vielschichtigen Szenerie entfaltet der Regisseur eine Inszenierung von „Evita“, die nicht nur das Publikum packt, sondern auch relevante Parallelen zur Gegenwart zieht – subtil, aber deutlich genug, um zu wirken.
Mit der Figur La Vida gelingt Mahlberg ein kunstvoller Kunstgriff: Die stumme Präsenz – gespielt von Nina-Noelle Ingiliz O – tanzt, beobachtet, begleitet Evita durch Höhen und Tiefen. Ist sie Evitas (verlorene) Unschuld? Ihre Träume? Ein Schatten ihrer selbst oder ein inneres Ich? Diese Projektionsfläche bleibt bewusst offen und bietet Raum für Deutung. Eine solche Metaebene verleiht dem oft gespielten Musical einen neuen Blickwinkel und hebt die Produktion deutlich aus dem Gewohnten heraus.
Ricardo Fernandos dynamische Choreografie treibt das Geschehen voran, mal mit tänzerischer Leichtigkeit, mal mit aufrührerischer Energie. Auch die Kostüme von Nora Johanna Gromer tragen zum Gesamteindruck bei – farbenfroh, stilistisch präzise, mit besonderen Stoffen für Evita, die deren wechselnde Rollen zwischen Glamour und Volkserdung visuell unterstreichen. Unterstützt wird das visuelle Erlebnis von Ron Heinrichs fein gesetztem Lichtdesign.
Musikalisch hebt sich die Produktion besonders hervor: Erstmals in Deutschland wird die neue symphonische Version des Musicals gespielt – und sie zeigt Wirkung. Unter der Leitung von Sebastiaan van Yperen entfalten die Augsburger Philharmoniker ein klanglich differenziertes, stilistisch vielseitiges Klangbild. Mal opulent, mal reduziert, stets präzise in der Dynamik.
Im Zentrum steht Katja Berg als Evita – stimmlich souverän, mit emotionalem Schauspiel und intensiver Bühnenpräsenz. Sie verkörpert die Figur nicht nur, sie lebt sie. Ihre Evita ist keine Ikone aus Stein, sondern ein Mensch voller Widersprüche, Machtwillen und verletzlicher Sehnsucht. Hannes Staffler als Che, der zynische Erzähler mit rockiger Stimme, bringt eine kantige Energie auf die Bühne, die der Inszenierung gut tut. Er hinterfragt, kommentiert und widerspricht glaubwürdig, ohne sich aufzudrängen.
Alexander Franzen als Perón überzeugt als dominante politische Figur, die im Verlauf des Abends zunehmend emotionaler agiert. Gerhard Werlitz als Magaldi bleibt in seinen kurzen Auftritten solide, während der Chor (Einstudierung: Katsiaryna Ihnatsyeva-Cadek) szenisch zwar steif und emotionslos bleibt, musikalisch jedoch zuverlässig ist.
Diese „Evita“ lebt von starken Bildern, von musikalischer Qualität, von kluger Symbolik – und davon, dass sie ihre Hauptfigur nicht verklärt, sondern vielschichtig zeigt. Es ist eine Inszenierung, die auf exzellente Weise Altes mit Neuem verbindet.
Text: Patricia Messmer