„Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ (Foto: Marc Stantien, www.stantien.de)
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History goes Hip-Hop: „Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ in Braunschweig

Von der hiesigen Musicalszene fast ein wenig unbemerkt, wurde im vergangenen Jahr am Staatstheater Braunschweig das Hip-Hop-Musical „Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ uraufgeführt, das wegen des großen Erfolgs auch in der aktuellen Spielzeit wieder auf dem Spielplan steht. Erzählt wird in dem Werk von Christian Eitner (Musik, Musikalische Leitung) und Peter Schanz (Texte, Regie) die Geschichte des verschwenderischen Welfenherzogs Karl II., den die Braunschweiger im Jahr 1830 aus der Stadt jagten, indem sie sein Schloss in Brand setzten.

Doch diese historische Handlung wird nicht mit großen Streicherballaden und schwülstigen Texten erzählt. Nein, vielmehr schickt man sich am Staatstheater Braunschweig an, eine deutsche Antwort auf „Hamilton“ zu liefern – mit der Band „Jazzkantine“ und einer Mischung aus Hip-Hop, Rap, Funk, R’n’B, Soul und Jazz, was exzellent gelingt.

„Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ ist ein Erlebnis, das schon beim Betreten des Theaters beginnt. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erhalten am Eingang nicht nur ein kostenloses Programmheft mit allen geschichtlichen Fakten und Infos zu den Figuren, sondern auch kleine Fähnchen, die im Verlauf des Stücks geschwungen werden, wenn Karl II. in Braunschweig eintrifft. Außerdem wird der Zuschauerraum wiederholt bespielt: In einer Loge inmitten des Parketts nimmt der theaterbegeisterte Titelheld immer wieder Platz, trinkt, spielt Schach. Später dann stürmt der wütende Mob durch das Auditorium auf die Bühne und Karl blickt vom ersten Rang auf sein brennendes Schloss.

Als genial erweist sich die Idee, alle acht Musiker – die sechs Mitglieder der „Jazzkantine“ sowie zwei Streicher des Staatsorchesters – auf der Bühne in das Geschehen zu integrieren. Dadurch bekommt das Stück den Touch eines Konzerts, für ihre Soli treten Gitarrist Tom Bennecke oder Saxofonist Heiner Schmitz dann auch schon mal an den Bühnenrand hervor, selbst Drummer Andy Lindner wird für sein Solo mitsamt des Schlagzeug-Podests in die Bühnenmitte gefahren.

„Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ (Foto: Marc Stantien, www.stantien.de)

Der Bruch zwischen historischem Inhalt und dem musikalischen Mantel ist dabei absolut spannend. Auf der einen Seite hat man ein ausladendes Bühnenbild (Carolin Schwarz) und hübsche Kostüme (Julia Burkhardt), die den Anfang des 19. Jahrhunderts widerspielten. Auf der anderen Seite gibt es diese modernen Klänge und Texte, die den aktuellen Zeitgeist transportieren und so Historie und Gegenwart miteinander verweben.

Unter Einsatz der Drehbühne entstehen immer neue Szenenbilder wie das Schloss samt Portikus, ein Wirtshaus oder Karls Schlafgemach mit viel Plüsch, Protz und Prunk. Während der Welfenherzog „Bye Bye Brunswick“ singt, schwebt er in einem riesigen Heißluftballon davon – zum Schluss wird dessen Schloss mit so viel Feuer und Pyrotechnik abgefackelt, wie man es selten in einem Theater gesehen hat.

Regisseur Peter Schanz hat das alles in einer sehr flotten und stringenten Inszenierung mit fließenden Szenenübergängen verpackt, die keinerlei Langeweile aufkommen lässt. Witzig: Bei der Nummer „What a Loser“, mit welcher der englische King George IV. den zweiten Akt eröffnet, ist nicht von der Hand zu weisen, dass man sich hier von der Darstellung King Georges III. aus „Hamilton“ inspirieren ließ. Nicht nur, dass George IV. der Sohn von George III. ist, auch sein Kostüm, der Auftritt, das Staging, die Art des Songs und das Durchbrechen der vierten Wand sind nahezu identisch. Weiterhin erinnert ein Rap-Battle zwischen Karl II. und dem Grafen Ernst zu Münster an das Musical über den amerikanischen Gründervater.

Getragen wird „Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ von einer durchweg überzeugenden Cast. Arne Stephan gibt einen herrlich affektierten Welfenherzog, der aufgrund seines verschwenderischen Lebensstils und seiner umfangreichen Diamantensammlung den Beinamen Diamantenherzog erhielt. Stephan gelingt die Darstellung exzellent, rappt und singt wunderbar.

„Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ (Foto: Marc Stantien, www.stantien.de)

Großartig ist außerdem Sascha Münnich in der Doppelrolle als Graf Ernst zu Münster und King George IV. Als Graf liefert er sich ein gelungenes Rap-Battle mit Arne Stephan, als englischer König, der seinem nichtsnutzigen Neffen in Braunschweig mal so richtig einschenkt, glänzt er dagegen mit seiner Mimik sowie Gestik und sorgt für zahlreiche Lacher, wenn er die vierte Wand durchbricht und sich direkt ans Publikum wendet. Ihren Rollen sehr gut gerecht werden darüber hinaus Markus Schultze (Magistratsdirektor Bode), Cappuccino (Handwerksknecht Perschmann) und Tachi Cevik (Bauernknecht Baesecke).

Auch die Damenriege ist stark. Allen voran besticht hier Maike Jacobs als taffe Wirtin Gesche Habenicht mit ihrem wohlklingenden Mezzosopran und großer Bühnenpräsenz. Gesanglich stehen ihr zudem Julia Wunderlich als Charlotte Colville, Karls frühere Geliebte, und Anika Loffhagen als Kammersängerin Betty Dermer in nichts nach.

Die Choreografie von Sonja Böhme ist ebenfalls ein Gewinn für die Inszenierung. Böhme selbst wird dabei von Anna-Lena Eickenscheidt, Julia Hein, Vivien Mendrys, Dorothee Pape und Julia Pupello unterstützt – sechs Tänzerinnen, die mal Sonnenbrille tragend die lässigen Dienerinnen am Hofe Karls geben, dann als Volk oder Mitglieder der Schwarzen Schar auftreten oder die Schleppe des Königsmantels tragen. Dabei tanzen sie coole Hip-Hop-Moves, die das i-Tüpfelchen einer insgesamt kurzweiligen Inszenierung sind, die von der ersten bis zur letzten Minute enormen Spaß bereitet.

Die stehenden Ovationen zum Schluss sind damit mehr als verdient. „Der Diamantenherzog und das brennende Schloss“ ist ein Paradebeispiel dafür, dass an einem Staatstheater exzellente neue Musicals entwickelt werden können. Bitte mehr davon!

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".