„Amadeus“ (Foto: Dominik Lapp)
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Theatrale Beichte: „Amadeus“ in Celle

Hat der Komponist Antonio Salieri seinen Konkurrenten Wolfgang Amadeus Mozart ermordet? Mit dieser Frage beschäftigt sich Peter Shaffers Theaterstück „Amadeus“, das 1979 uraufgeführt und 1984 sehr erfolgreich von Milos Forman verfilmt wurde. In dem Bühnenstück behauptet Salieri jedenfalls, der Mörder Mozarts zu sein, um daraufhin gegenüber dem Publikum im Schlosstheater Celle seine theatrale Beichte abzulegen.

Das Schlosstheater Celle, eines der ältesten noch bespielten Theater Europas, erweist sich als perfekt für das im 18. Jahrhundert spielende Stück. In der zweiten Etage des Celler Welfenschlosses gelegen, bietet das um 1675 eingebaute Theater mit seiner barocken Ansicht aus den 1770er Jahren einen wunderbaren Spielort für „Amadeus“, der auf der Bühne durch das Bühnenbild von Martin Käser erweitert wird.

Viel benötigt es gar nicht. Der barocke Theatersaal versprüht schon genug Charme und Zeitgeist, so dass auf der Bühne nur noch zwei verschiebbare halbrunde Wandelemente benötigt werden, um immer wieder geschmeidig neue Szenen entstehen zu lassen, die durch entsprechende Möbelstücke, Kerzenleuchter und Vorhänge ergänzt werden. Die Rokoko-Kostüme, für die ebenfalls Martin Käser verantwortlich zeichnet, können den nostalgischen Theaterzauber des ausgehenden 18. Jahrhunderts authentisch wiederbeleben.

Im Stück von Peter Shaffer wird genauso wie im Film von Milos Forman ein populäres, aber etwas verzerrtes Mozartbild gezeigt. Begründet liegt das auch im frühen und mysteriösen Tod Mozarts und der damit zusammenhängenden Legendenbildung. „Amadeus“ lebt von vielen konfliktbeladenen Szenen, vom Konkurrenzkampf zwischen Mozart und Salieri, aber auch von dem schwierigen Verhältnis zwischen Mozart und seinem Vater Leopold – obwohl Letzterer als Rolle in dem Stück gar nicht vorkommt.

Die Inszenierung von Andreas Döring ist ein genauso dramatischer wie vergnüglicher Theaterabend. Döring führt sein siebenköpfiges Ensemble an der langen Leine und lässt allen entsprechend viel Raum für ihre Spielfreude. Weil der Regisseur eine eigene Ästhetik für „Amadeus“ gefunden hat, kann sich seine Inszenierung erfreulicherweise von dem sehr prominenten und dominanten Filmvorbild emanzipieren.

Bei einem Theaterstück über das wohl größte Musikgenie aller Zeiten darf Musik selbstverständlich nicht fehlen. Wie schon im Film, liefert Mozarts Musik (Musikalische Einrichtung: Tiana Kruskic) auch auf der Bühne immer wieder einen eindringlichen Soundtrack für das Geschehen, was das Publikum noch stärker in die Handlung, die Zeit und das Genie Mozart eintauchen lässt.

Die erzählerische Klasse braucht nur wenige Minuten, um die Qualität des Stücks aufzuweisen. Dies gelingt aber nicht nur durch das ohnehin schon sehr starke Buch von Peter Shaffer, sondern ebenso durch die starken Schauspielerinnen und Schauspieler. Entgegen den Erwartungen, hat allerdings nicht die Titelfigur das größte Päckchen zu tragen, sondern deren Gegenspieler. Dirk Böther mimt als Antonio Salieri einerseits den Erzähler, der als einzige Person immer mal wieder die vierte Wand durchbricht und sich direkt an das Publikum wendet. Andererseits gibt er einen erbitterten Neider, der mit Gott bricht, weil er sich zusehend mit seiner eigenen Durchschnittlichkeit konfrontiert sehen muss.

Großartig ist es, wie Böthers Salieri öffentlich den Schein eines Ehrenmanns wahrt und im stillen Kämmerlein tobt. Den Wechsel der Emotionen vollzieht er absolut kongenial. Im musikalischen Wettstreit am Kaiserhof kann neben Böther als Salieri überdies Marius Leonard als Mozart in allen Facetten, die ihm seine Rolle bieten, überzeugen. Leonard spielt den berühmten Komponisten wie einen infantilen Clown, einen vulgären und obszönen Punk und zeigt damit doch, welch Genie diesem schrillen, aber auch witzigen, tragischen und sympathischen Charakter innewohnt. Obwohl beide Schauspieler in die großen Fußstapfen ihrer Filmkollegen Tom Hulce und F. Murray Abraham treten, schaffen sie es, ausgetretene Pfade zu verlassen und ihre eigenen Rolleninterpretationen zu finden.

Neben den beiden Antipoden sollen aber auch die weiteren Mitwirkenden nicht unerwähnt bleiben. Nora di Fausto zeichnet ein starkes Bild von Mozarts Ehefrau Constanze und Ruth Kennecke prägt in einer Hosenrolle sehr überzeugend und ernst zu nehmend den österreichischen Kaiser Joseph II. Zudem können Thomas Wenzel (u. a. Graf von Strack), Johann Schibli (u. a. Graf Orsini-Rosenberg) und Julian Boine (u. a. Baron van Swieten) jeweils mehreren Rollen ihre Stempel aufdrücken und damit ihre schauspielerische Wandlungsfähigkeit beweisen.

Nach zweieinhalb Stunden geht das Licht aus. Sowohl das Lebenslicht Mozarts als auch das Bühnenlicht. Und schnell brandet starker Applaus im Saal auf – für eine grandiose fiktionale Geschichte mit realen Charakteren. Um den wahren Mozart besser kennen zu lernen, sollte man seine Briefe lesen. Wer aber einen ersten Zugang zu ihm und seiner Musik sucht oder einfach eine gute Geschichte erleben möchte (ähnlich wie bei den Musicals Mozart!“ und Mozart – L’Opéra Rock“), sollte „Amadeus“ am Schlosstheater Celle auf keinen Fall verpassen.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".