Lukas Witzel, Foto: Elena Carina Lorscheid
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Interview mit Lukas Witzel: „Ich lasse alles auf mich zukommen“

Lukas Witzel ist als Darsteller im Musicalgeschäft so was wie ein Quereinsteiger. An der Hochschule für Musik in Mainz studierte er Musik und Geschichte auf Lehramt mit Gesang als Hauptfach, eine klassische Musicalausbildung hat er jedoch nicht absolviert. Seine ersten Hauptrollen konnte er trotzdem schon spielen – und es sollen wohl nicht die letzten gewesen sein. Der Preisträger des renommierten MUT-Wettbewerbs spielt momentan unter anderem die Hauptrolle im Musical „Otello darf nicht platzen“ am Theater Krefeld und Mönchengladbach. Im Interview spricht er über seinen Weg auf die Musicalbühne, aber auch über Engagements und Rollen und warum er macht, was er macht.

Sie haben nicht den klassischen Weg der Musicalausbildung absolviert. Wie genau sind Sie zum Musical gekommen?
Ins Musical verliebt habe ich mich bei der Musical Inc. in Mainz. Das ist eine studentische Musicalgruppe auf semiprofessionellem Niveau. Ich hatte gerade angefangen, Musik und Geschichte auf Lehramt zu studieren und mitbekommen, dass die für das Musical „Frühlings Erwachen“ casten. Das hat dann geklappt und ich durfte den Moritz Stiefel spielen. Insgesamt habe ich dort fünf Jahre gespielt, war auch zwei Jahre Musikalischer Leiter und habe mich irgendwann gefragt, ob es sich nicht lohnen würde, den Quereinstieg ins professionelle Musical zu wagen.

Das Lehramtsstudium haben Sie aber nicht aufgegeben, weil Sie doch noch etwas „Vernünftiges“ lernen wollten?
Das könnte man so sagen, ja. (lacht) Aber nein. Ich hatte das Studium ja nun mal angefangen und ich stehe auch immer noch dahinter, dass ich Lehrer werden möchte. Ich habe schon in der Grundschule gewusst, dass ich Lehrer werden will. Das Musical kam mir eben dazwischen. Aber mir war es wichtig, dass ich das Studium beende. Es war nie eine Option, das Studium abzubrechen und alles hinzuwerfen. Sollte ich im Musical mal keine Lust oder keinen Erfolg mehr haben, habe ich so immer noch ein Backup.

Ihre erste Musicalrolle, das hatten Sie erwähnt, war Moritz Stiefel in „Frühlings Erwachen“. Diese Figur, die Suizid begeht, ist keine einfache Rolle. Wie war es, so einen anspruchsvollen Part zu spielen?
Das war sehr aufregend. Ich habe immer schon gesungen und Theater gespielt, aber eben noch nie Musical gespielt – da war diese Rolle schon ein Kracher. Ich habe mich in der Gruppe sehr wohlgefühlt und wir haben erst einmal im intimen Rahmen geprobt und ich habe mich damit auseinandergesetzt, wie sich Moritz im Stück entwickelt, dass er letztendlich an den Punkt kommt, sich umzubringen. Das war schon sehr krass und der zweite Akt war für mich sehr kurz. (lacht)

Als junger Nachwuchskünstler können Sie schon ein recht breites Rollenspektrum vorweisen. Sie sind also nicht auf ein bestimmtes Rollenfach oder eine Musikrichtung festgelegt?
Genau. Ich lasse alles auf mich zukommen. Angefangen zu singen, habe ich in einem Gospel- und Popchor und dort gemerkt, dass es stimmlich ganz gut passt. Anschließend hatte ich klassischen Gesang in meinem Lehramtsstudium und habe mich auch in diesem Bereich weiterentwickelt. Mir macht das Spaß und ich bin sehr froh, dass ich in einem Musical wie „Otello darf nicht platzen“ meine stimmliche Bandbreite zeigen kann, wenn ich von der Popstimme zum eher klassischen Ansatz wechsle. Im Sommer kommt noch die Operette dazu, wenn ich „Im weißen Rössl“ spiele.

Foto: Agnes Wiener / Niklas Wagner

Wie hart ist es eigentlich, ein Engagement zu bekommen?
Es ist schon hart. Man muss es immer wieder versuchen und hart an sich arbeiten. Gerade weil ich nicht den klassischen Weg der Musicalausbildung gegangen bin, bilde ich mich beständig weiter. Und bisher hat es immer ganz gut geklappt, so dass ich ein paar Jobs schon machen durfte und mich innerhalb dieser Jobs auch weiterentwickeln konnte.

Realisieren Sie eigentlich die ersten Erfolge und Engagements oder fühlt sich das noch eher wie ein Traum an? Also sitzen Sie zu Hause vielleicht mal im stillen Kämmerlein und lassen bisherige Jobs Revue passieren?
Ich bin auf jeden Fall sehr dankbar, wenn ich mir darüber mal Gedanken mache, was schon alles in meinem ersten Jahr passiert ist. Das ist tatsächlich kaum zu fassen – gerade auch, was die Bandbreite betrifft. Mit der Titelrolle in „Hedwig and the angry Inch“ habe ich direkt mit einer Rolle begonnen, die meine Vorstellungskraft vorher überstiegen hat. Anschließend kam mit „Otello darf nicht platzen“ das erste Engagement am Stadttheater, im Sommer folgt mein Operettendebüt. Das sind alles Rollen, die mich sehr fordern und Vielseitigkeit verlangen. Das hätte ich nie für möglich gehalten, dass so viele Sachen so schnell hintereinander auf mich zukommen. Dafür bin ich sehr dankbar.

Sie sind Preisträger des MUT-Wettbewerbs. Spielt diese Auszeichnung im Lebenslauf bei Bewerbungen eine Rolle?
Ich glaube, dass es bei mir sehr wichtig war. Ich verstehe es wie eine Art Gütesiegel, da ich ja nicht an einer Universität oder Hochschule Musical studiert habe. Beim MUT-Wettbewerb hat eine Jury aus Branchenkennern mich bewertet und für gut befunden – und ich hatte auch das Gefühl, dass danach die Einladungen zu Auditions etwas leichter kamen.

Sie hatten „Hedwig and the angry Inch“ selbst schon angesprochen. Was ist Hedwig für eine Rolle?
Oh wow, das ist eine schwierige Frage. Hedwig ist eine abgehalfterte Rockdiva, die unheimlich viel erlebt hat – in meinem Fall in ihrem noch nicht ganz so langen Leben. Sie hat viel hinter sich gelassen, was die emotionale Verarbeitung betrifft. Sie ist schon ein sehr komplizierter Charakter, von dem ich nicht weiß, ob es ihn so im wahren Leben gibt. Das macht’s unglaublich spannend. Ich glaube, nur wenige Rollen können einem jungen Mann so fern sein. Hedwig ist eine Person, die eine Frau sein will, wie keine Frau sie je sein könnte. Sie ist derb und dreckig und geht geradeaus ihren Weg.

Was war die größte Herausforderung bei der Rolle der Hedwig?
Man muss innerhalb der Probenzeit einfach viel ausprobieren. Meine Hedwig ist zum Beispiel weicher als die Hedwig in anderen Produktionen, die ich gesehen habe. Das hat vielleicht auch mit meinem noch jungen Alter zu tun und deshalb muss ich eine andere Schiene fahren. Bei Hedwig ist es auch so, dass es selbst in der gleichen Inszenierung ein anderes Stück wird, wenn ein anderer Hedwig spielt. Auch wenn man dieselben Wege geht und die gleichen Intentionen hat, wie es vom Regisseur vorgegeben wurde – ein anderer Darsteller bedeutet bei diesem Stück auch eine andere Show.

Foto: Mirco Wallat, musicalsessen.de

Bei „Hedwig and the angry Inch“ haben Sie in einem intimen Rahmen vor einem überschaubaren Publikum gespielt, beim Pop-Oratorium „Luther“ in der EmslandArena Lingen hingegen vor rund 3.000 Zuschauern auf der Bühne gestanden. Wo liegen da für einen Künstler die Unterschiede? Ist es nicht auch schwieriger, vor wenigen Zuschauern als vor einer großen anonymen Masse zu spielen?
Das kommt ganz stark auf das Stück an. Ein Stück wie „Hedwig and the angry Inch“ würde in einer Halle gar nicht funktionieren. Das muss in einem intimen Rahmen sei. Und da ist es so, dass die Leute an deinen Lippen kleben und die Geschichte miterleben wollen. Man sieht sie auch alle, wenn man nicht gerade vom Scheinwerferlicht geblendet ist. Auch wenn mal nur wenige Zuschauer anwesend sind, sieht man sie und weiß, dass man nur für sie spielt. Bei einer Produktion wie „Luther“ hat man dagegen mehr ein Stadiongefühl. Das hat einen ganz anderen Zauber und es fällt mir schwer, beides miteinander zu vergleichen. Als Künstler muss man immer Leistung bringen – und bei größeren Häusern, das merke ich auch bei „Otello darf nicht platzen“ immer wieder, muss mimisch einfach mehr passieren. Bei Hedwig ist sowieso viel los im Gesicht. Aber die Zuschauer sind nah dran, so dass man etwas feiner spielen kann.

Nach welchen Kriterien suchen Sie sich Rollen aus? Oder suchen die Rollen Sie aus?
Bis jetzt war es so, dass sie mich ausgesucht haben. (lacht) Aber ich muss immer genau schauen, was für mich in Frage kommt. Auch weil ich nicht so gut tanze wie Kollegen, die eine reine Musicalausbildung absolviert haben. Die Tanzmusicals fallen für mich also schon mal weg. Wenn aber so genannte Mover oder gute Mover gesucht werden, kommt das wiederum für mich in Frage und dann schaue ich mir an, ob es stimmlich passt. Anschließend bewirbt man sich, wird eingeladen oder nicht und muss abwarten, ob man den Job letztendlich bekommt. Ich muss einfach Erfahrungen sammeln – gerade auch mit Stücken, die mir vorher vielleicht nicht so viel gesagt haben. Ich wusste auch nicht, was mich bei „Otello darf nicht platzen“ erwarten würde. Und ich spiele den Max in dem Stück so gern, obwohl ich nie gedacht hätte, dass das ein Stück ist, das ich unbedingt mal spielen muss. Man wird ganz oft nach Traumrollen gefragt und Max wäre mir nie in den Sinn gekommen. Aber jetzt, wo ich ihn spiele, sage ich ganz klar: Das ist eine geile Rolle, die unglaublich viel Spaß macht. Ich denke, gerade am Anfang der Karriere muss man unbedingt die Augen offenhalten und flexibel sein.

Was ist Ihnen wichtig, wenn Sie auf die Bühne gehen? Warum machen Sie das, was Sie machen?
In erster Linie habe ich unheimlich viel Spaß auf der Bühne. Ich bin vor jeder Show extrem aufgeregt. Aber es ist ein tolles Glücksgefühl, wenn das Publikum honoriert, was du machst. Wenn du merkst, dass die Zuschauer voll dabei sind und mitgehen, lachen und jubeln. Das spüre ich sehr gern, wenn ich auf der Bühne stehe. Das ist der Grund, warum ich mache, was ich mache. Sonst hätte ich ja auch Lehrer werden können. (lacht)

Interview: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".