
Von Umwegen und Zufällen: Wie das queere Musical „Soho Cinders“ nach Deutschland kam
Von außen sieht es manchmal aus wie ein glatter Durchmarsch: Ein Musical feiert seine deutschsprachige Erstaufführung in Osnabrück, wandert ein Jahr später zu den renommierten Schlossfestspielen Ettlingen, bekommt einen griffigeren Titel – und fertig ist der Erfolg. Doch bei „Soho Cinders“ war es alles andere als ein geradliniger Weg. Im Gespräch mit Regisseur Christian Stadlhofer wird klar: Dahinter steckt eine mehr als zehnjährige Reise – geprägt von Leidenschaft, Hartnäckigkeit und dem richtigen Timing.
„Das begleitet mich eigentlich seit 2011“, erzählt Stadlhofer. Damals schenkte ihm Choreograf Vanni Viscusi die CD-Aufnahme eines Benefizkonzerts des Musicals. Mit dem Satz: „Das musst du dir unbedingt anhören, das ist total toll und frisch und neu.“ Und tatsächlich: Christian Stadlhofer war sofort elektrisiert – nicht nur wegen der Musik, sondern auch wegen des ganz eigenen Tons der Autoren George Stiles und Anthony Drewe. „Ich kannte sie bis dahin nur von Stücken wie ‚Honk!‘ oder ihrer Mitarbeit bei ‚Mary Poppins‘ – das hier war eine ganz andere, moderne Handschrift.“
Die Herausforderung: Rechte, Übersetzung, Finanzierung
Doch obwohl der Wunsch schnell da war, „Soho Cinders“ auf eine deutsche Bühne zu bringen, scheiterte es jahrelang an den Rechten, der Übersetzung und vor allem an der Finanzierung. „Es gab keinen Verlag, keinen Partner, der mitziehen wollte.“ Zwischendurch flackerte Hoffnung auf, Kontakte nach London wurden geknüpft, Verträge angedeutet – aber konkrete Umsetzungen blieben aus.
Der entscheidende Impuls kam 2021 – mitten in der Corona-Pandemie. Christian Stadlhofer erinnert sich an einen Videocall mit dem Institut für Musik in Osnabrück. Die Idee: Ein Stück für den Abschlussjahrgang. Man fragte ihn, ob er „Soho Cinders“ kenne. „Ich dachte nur: Das kann jetzt nicht euer Ernst sein – das steht seit Jahren auf meiner Bucketlist!“
Die Osnabrücker Produktion im Jahr 2022 wurde zur deutschsprachigen Erstaufführung. Und fast parallel wurde die Planung für 2023 in Ettlingen konkret: „Wir wollten für die Schlossfestspiele einen moderneren Stoff – musikalisch und inhaltlich. Nach klassischen Stücken wie ‚Der Mann von La Mancha‘ und ‚The King and I‘ war das einfach dran.“

Keine Identitätskrisen, sondern gesellschaftliche Konflikte
Was das Stück inhaltlich auszeichnet, ist für den Musicalschaffenden klar: Es ist kein Coming-out-Drama, sondern ein queerer Stoff, in dem die Figuren ganz selbstverständlich sie selbst sein dürfen. „Es geht nicht um das Leiden am Queersein – sondern darum, wie queere Figuren sich in einem heteronormativen, politischen System behaupten. Das ist ein ganz wichtiger Unterschied.“ In diesem Sinne sei das Musical fast schon post-queer: Es erzählt keine Identitätskrisen, sondern gesellschaftliche Konflikte.
Auch künstlerisch stellte das Stück besondere Anforderungen. Christian Stadlhofer beschreibt die Inszenierung als „Film auf der Bühne.“ Große Ensemblenummern, viele Schauplatzwechsel, alles in schnellem Rhythmus – bei Tageslicht im Freilichttheater eine Herausforderung. „Wo ist der Fokus, was muss jetzt klar sein – das mussten wir genau erarbeiten“, erinnert er sich an die Produktion vor zwei Jahren.
Besonderes Augenmerk lag auch auf der Sprache. Die deutsche Übersetzung von Holger Hauer wurde in Abstimmung mit dem Verlag behutsam angepasst. „Einfach weil sich unsere Sensibilität verändert hat – für Rollenbilder, Sprache, Witze. Wir wollten, dass sich das Stück auch in der deutschen Fassung so frisch und zeitgemäß anfühlt wie im Original.“

So kam es zum mittlerweile dritten Stücktitel
Ebenfalls neu: der Titel. In Ettlingen wurde aus „Soho Cinders“ das augenzwinkernd gegenderte „Soho Cinderella*“, mittlerweile bietet der Verlag die Rechte unter dem Namen „Soho Cinder*ella“ an – mit diesem Titel kommt die Show im Juli 2025 in Frechen bei Köln zur Aufführung. „Der Originaltitel ist im Deutschen schwer vermittelbar – die Wortspiel-Ebene von ‚Cinders‘ geht einfach unter. ‚Cinderella‘ ist ein Begriff, mit dem alle sofort etwas anfangen können“, sagt Stadlhofer.
Auch strukturell wurde für die Inszenierungen in Osnabrück und Ettlingen mitgedacht: Bühnenbild und Kostüme wurden so konzipiert, dass beide Produktionen darauf zugreifen konnten – ein Beitrag zur Nachhaltigkeit in einer Branche, die oft auf Einmal-Lösungen setzt. Bei der Besetzung kamen etwa die Hälfte der Darstellenden aus Osnabrück mit nach Ettlingen, andere Rollen wurden neu besetzt. „Ich wollte es diverser machen – das ist mir nicht in dem Maß gelungen, wie ich es mir gewünscht hätte. Aber nicht aus Mangel an Willen, sondern weil die entsprechenden Leute einfach alle in anderen Jobs waren.“
Was bleibt, ist ein Musical, das für Christian Stadlhofer mehr ist als nur ein Job. „Es ist ein Stück, das ich lange mit mir herumgetragen habe. Und das jetzt endlich sein Publikum findet. Nicht als schrille Provokation, sondern als moderne Geschichte, die queere Figuren einfach als Teil unserer Gesellschaft erzählt.“
Text: Dominik Lapp