Tina (Foto: Dominik Lapp)
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Emotionsreich: „Tina“ in Hamburg

Nach der viel zu langen Corona-Zwangspause ist mittlerweile auch das Musical „Tina“ wieder zurück auf der Bühne in Hamburg und soll weiterziehen nach Stuttgart. Zeit für eine Bestandsaufnahme.

Wer das Stück noch nicht gesehen hat, dürfte überrascht sein. Denn wer bei „Tina“ lediglich eine Best-of-Show der größten Hits von Tina Turner erwartet, bekommt diese Hits durchaus geboten – darüber hinaus aber auch eine unglaublich emotionsreiche Story, basierend auf den ersten 50 Jahren aus Tina Turners Leben. Es ist ein Leben, das von Hochs und Tiefs und enorm viel physischer und psychischer Gewalt gezeichnet ist.

Die Band stimmt „Simply the Best“ an, der Vorhang öffnet sich und das Publikum sieht Tina Turner von hinten. Unverkennbar dabei: ihre wilde Mähne. Wir befinden uns im Jahr 1988 beim legendären Konzert in Rio de Janeiro mit rund 180.000 Menschen. Hinter der Bühne beginnt Tina zu meditieren und wir sehen in einem Rückblick ihr Leben im Schnelldurchlauf.

Das alles wurde von Buchautorin Katori Hall dramaturgisch hervorragend aufbereitet und von Regisseurin Phyllida Lloyd exzellent in Szene gesetzt. Die Trennung von Tinas Eltern, die Beziehung zu ihrer Großmutter, die schicksalshafte Begegnung mit Ike Turner, mit dem sie eine 16 Jahre andauernde Ehe-Hölle erlebt, der steinige Weg durchs Musikgeschäft – all das erlebt das Publikum in der rund dreistündigen Show. Die Regie von Phyllida Lloyd ist so wunderbar fokussiert, dass nicht nur an der Oberfläche gekratzt wird, sondern man das Gefühl bekommt, wirklich hinter die Fassade des Weltstars zu blicken.

Die Buchübersetzung von Ruth Deny funktioniert dabei genauso tadellos wie die übersetzten Songs von Kevin Schroeder und Sera Finale, wobei auch zwischen Deutsch und Englisch gewechselt wird, weil die Stellen, die nicht die Handlung transportieren, teilweise im englischen Original belassen wurden.

Tina (Foto: Dominik Lapp)

Optisch gibt es keinen Bühnenbildbombast. Das Setdesign von Mark Thompson ist relativ zurückhaltend, die fahrbaren Bühnenelemente genauso zweckdienlich wie authentisch. Die Kostüme, für die Thompson ebenfalls verantwortlich zeichnet, sind zeitgemäß und zu den jeweiligen Figuren passend. Eine Videowand im Hintergrund mit Projektionen von Jeff Sugg und das Lichtdesign von Bruno Poet sorgen für eine dezente Ergänzung des Sets. Ebenso fügt sich die mitreißende Choreografie von Anthony van Laast sehr gut in das Gesamtgeschehen ein.

In der Titelrolle hat Charlotte Looman definitiv das schwerste Päckchen zu tragen, ist sie doch fast durchgängig auf der Bühne und hat die meisten der insgesamt 23 Songs zu singen. Doch sie wird dieser Rolle, die sie genauso gesanglich wie schauspielerisch herausfordert, vollends gerecht. Dabei findet sie ihre eigene Tina-Interpretation, ist keine bloße Tina-Kopie, und entwickelt ihre Figur authentisch weiter. Wie Tina unter Ike Turner leidet, sich von ihm lossagt, ihren Weg weitergeht – Charlotte Looman bringt das alles sehr echt, sehr emotional, sehr herzzerreißend und berührend über die Rampe und singt fantastisch.

Ebenso beeindruckend ist die Leistung von Dinipiri Etebu als Ike Turner. Zwar ist seine Textverständlichkeit ein großes Manko, doch durch sein markerschütternd gutes Schauspiel und seinen Schmelz in der Gesangsstimme macht er das wieder wett. Er balanciert gekonnt zwischen Charmeur und Choleriker, wickelt die Leute in seinem Umfeld erst um den Finger, um wenige Sekunden später voller Wut aus der Haut zu fahren. Bandkollegen, Tina, selbst die eigenen Kinder – sie alle bekommen die unbändige Wut Ike Turners zu spüren, die Dinipiri Etebu erschreckend real zu spielen weiß. Die Gewaltszenen haben es wirklich in sich!

Später hat es Tina wesentlich besser bei ihrem zweiten Ehemann und Manager Erwin Bach, der von Nico Schweers sympathisch dargestellt wird. Anastasia Bain gibt als Gran Georgeanna eine fürsorgliche Großmutter, Jahlisa Norton verleiht Tinas Mutter ein starkes Profil und Enny de Alba überzeugt als Tinas Schwester ebenso gesanglich wie schauspielerisch. In weiteren kleinen Rollen bleiben Lisa Kolada als Tinas Assistentin Rhonda, Lionel von Lawrence als Musiker Raymond Hill und Markus Maria Düllmann als Plattenboss John Carpenter positiv in Erinnerung.

Musikalisch holt die Band unter der Leitung von Bernhard Volk alles raus aus den Tina-Turner-Songs und darf sich zur letzten Nummer – das Stück endet, wie es beginnt, mit dem Song „Simply the Best“ – endlich dem Publikum zeigen. Denn am Ende befindet sich das Publikum wieder in der Anfangsszene in Rio de Janeiro, Tina Turner betritt jetzt die Bühne, die Band wird nach vorn gefahren, die Musik dreht auf und echte Konzertstimmung kommt im Operettenhaus Hamburg auf.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".