„Die Schatzinsel“ (Foto: Dominik Lapp)
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Mehr als ein Piratenabenteuer: „Die Schatzinsel“ in Hameln und Füssen

Piratengeschichten faszinieren die Menschen schon seit Jahrhunderten, spätestens seit Erscheinen der „Fluch der Karibik“-Filme ist das Thema wieder topaktuell. Ein Piratenschiff hat jetzt erneut in Hameln und erstmals in Füssen festgemacht: Das Musical „Die Schatzinsel“, das 2015 seine Uraufführung im tschechischen Brünn feierte und noch im selben Jahr seine deutschsprachige Erstaufführung in Fulda erlebte, ist im Theater Hameln und im Festspielhaus Füssen zu sehen.

Das schlüssige Buch von Dennis Martin und Christoph Jilo, an dem sie acht Jahre arbeiteten, liefert eine grundsolide Basis für das Bühnenwerk. Ein dramaturgisch äußerst gelungener Kniff ist dabei, dass Martin und Jilo zwei Handlungsebenen miteinander verwoben haben: Da ist einerseits die Geschichte der „Schatzinsel“ und andererseits die Geschichte ihres Schöpfers Robert Louis Stevenson. So beginnt die Handlung in Edinburgh im Jahr 1862, von wo der 24-jährige Stevenson gegen den väterlichen Willen ins französische Fontainebleau reist, um Schriftsteller zu werden.

In einer Künstlerkolonie lernt er die Amerikanerin Fanny Osbourne und ihren 12-jährigen Sohn Lloyd kennen. Schnell verlieben sich Louis und Fanny ineinander und Louis beginnt die Arbeit an seinem Roman „Die Schatzinsel“. Sobald Louis zu schreiben beginnt, taucht das Publikum mit ihm und Lloyd in die Piratengeschichte ein. Doch Louis ist krank und mehrere Hustenanfälle reißen ihn und damit auch das Publikum immer wieder aus der Fantasiewelt in die Wirklichkeit. Die Übergänge zwischen realer und fiktiver Ebene sind Regisseur Christoph Jilo hervorragend gelungen, so dass die Handlung wie aus einem Guss wirkt und nie ins Stocken gerät.

Optisch hat die Piratenstory ebenfalls viel Sehenswertes zu bieten. Das Bühnenbild von Jaroslav Milfajt besteht aus einer fahrbaren halbrunden Balkenkonstruktion, die zum Beispiel, ausgestattet mit verschiedenen Requisiten und Möbeln, eine Taverne oder auch ein Piratenschiff darstellen kann. Ein rundes Podest in der Bühnenmitte, dessen Halbrund von Stoffbahnen umfasst ist, dient als Projektionsfläche für die sehr gut unterstützenden Videoanimationen von Petr Hlousek. Ob nun das offene Meer, ein Schiff, die Schatzinsel oder eine Höhle – durch die Animationen werden die Szenen aufgewertet und dem Publikum gelingt das Abtauchen in die Piratengeschichte noch leichter. Durch Absenkung des Vorhangs auf nur einer Bühnenhälfte entstehen außerdem noch weitere Szenerien wie die Künstlerkolonie links oder das Haus der Familie Stevenson in Edinburgh rechts. Sehr sehenswert und zeitgemäß sind zudem die Kostüme von Andrea Kucerová und Andrea Mudrak.

Getragen wird die Zwei-Ebenen-Story von einem herausragenden Ensemble, angeführt von Sascha Kurth. Der äußerst smarte Darsteller übernimmt gleich drei Rollen, gibt in der realen Ebene den Autor Louis Stevenson und in der fiktiven Ebene einerseits den Dr. Livesey und andererseits den Piraten Ben Gunn. In allen drei Rollen agiert Kurth überzeugend und mit starker Bühnenpräsenz, singt mit klarer Stimme.

Ihm zur Seite steht die fantastische Katja Berg als Fanny Osborne und Mrs. Hawkins. Ihre Fanny ist eine treusorgende Mutter, die hin- und hergerissen ist zwischen der Liebe zu Louis, der Aufopferung für ihren Sohn und den Gewissensbissen, die sie zurück nach Amerika treiben, wo sie noch verheiratet ist. Mit ihrem Solo „Übers weite Meer“ gehört ihr der stärkste musikalische Moment des Abends, in dem sie gesanglich wie schauspielerisch brilliert und zutiefst berührt. In dem tiefsinnigen Duett „Haben wir noch den Mut zu träumen“ harmoniert sie zudem ganz wunderbar mit Sascha Kurth.

Einen herrlich borstigen und doch grundsympathischen Long John Silver gibt Ethan Freeman, der mit einem kontrastreichen sowie nuancierten Schauspiel und starker Stimme überzeugt. Als Hands und Bones kann Sebastian Lohse schauspielerisch auftrumpfen und hat als Pirat, der sich einen Schluck Rum zu viel genehmigt hat, die Lacher des Publikums auf seiner Seite. Schauspielerisch und stimmlich sehr stark ist auch Reinhard Brussmann als autoritärer Vater und knurriger Kapitän Smollet. Komplettiert wird die Solistenriege durch Lutz Standop, der in einer eher kleinen Doppelrolle als Squire Trelawney und Bürgermeister von Edinburgh stimmlich wie schauspielerisch gewohnt solide agiert. Ein authentisches Rollenprofil zeichnen weiter Larissa Windegger als Mutter Stevenson und Olaf Meyer als Pirat Blind Pew.

Neben den Solisten muss ebenso die Ensembleleistung gewürdigt werden. Denn das Zusammenspiel aller Künstlerinnen und Künstler funktioniert bei der „Schatzinsel“ ganz hervorragend. Ensembleszenen wie „Heihoo“ oder „Bristol City“ erweisen sich, auch dank der rasanten Choreografie von Michal Matej, als weitere Höhepunkte der Inszenierung, die das Publikum mit schallendem Applaus honoriert.

Den gleichnamigen Roman von Robert Louis Stevenson für die Bühne zu adaptieren und mit der Biografie des Autors zu verweben, hätte gewaltig schiefgehen können. Doch auch noch mehr als sechs Jahre nach der Uraufführung wird deutlich, dass es das Autoren- und Kreativteam geschafft hat, den spannenden Stoff zusammen mit erstklassigen Mitwirkenden genauso sehens- wie hörenswert umzusetzen.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".