„Rock the Ballet“ (Foto: Oliver Fantitsch)
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Magie mit kleinen Makeln: „Rock the Ballet“ auf Tour

Man stelle sich eine Zaubershow vor, in welcher der Künstler all seine Tricks verrät, während er sie vorführt – und die Magie dadurch nur noch größer wird. Unvorstellbar? Bei „Rock the Ballet“ ist genau das der Fall: Das Wunder der Darbietung wird durchs Staunen über die technische  Perfektion, die rein physische Leistung des Tanzensembles übertroffen, auch bei der derzeit tourenden Jubiläumsshow anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Company.

Wenn die „Entertainment Tonight“ schreibt, Rasta Thomas’ „Rock the Ballet“ bringe „das Beste von Baryschnikow, Bruce Lee und Michael Jackson“ auf die Bühne, ist das eine zweifelhafte Eloge, könnte es doch den Anschein haben, als würde hier wahllos Raubbau betrieben an den verschiedensten Spielarten modernen Ausdruckstanzes und anderer körperlicher Betätigungen, um ein möglichst großes Publikum zu generieren. Dxas indes wäre nur die halbe Wahrheit.
Ohne Zweifel sind hier nämlich sowohl Meistertänzer als auch Marketingprofis am Werk – mit beneidenswertem Erfolg.

Selbstverständlich ist „Rock the Ballet“ auf den Punkt konzipiert und fein auf Breitenwirkung abgestimmt. Und natürlich müsste sich der Company-Gründer schlechterdings auch den Vorwurf gefallen lassen, seine Idee eines Pop-Balletts sei allzu naheliegend. Nur: Irgendwer muss sie ja nicht nur haben. Sondern auch umsetzen. Obwohl Thomas für die aktuelle 10th-Anniversary-Tour die Choreografie an Company-Gründerin Adrienne Canterna abgegeben hat, überzeugt die Darbietung weiterhin so sehr, dass man selbst etwaiger Augenwischerei gern auf den Leim geht. Diesmal indes mit einigen Abstrichen.

Wo wir schon bei Augenwischerei sind: Verwundert die Augen reibt man sich ein ums andere Mal, wenn das zehnköpfige Ensemble – drei Frauen, sieben Männer – über die Bühne wirbelt. Und nicht selten durch die Luft. Einen Auftritt nach Maß beschert Billy Idols „Mony, Mony“, bei dem es das Publikum fast nicht mehr auf den Plätzen hält – und es beschleicht einen der Verdacht, hier werde Kirmes statt Kunst geboten. Wobei von Schleichen angesichts der Beats eigentlich nicht die Rede sein kann, weshalb auch jegliche Zweifel an der Weltklasse des Ensembles nach wenigen Sekunden im wortwörtlichen Sinne niedergetrampelt beziehungsweise weggeklatscht werden.

Trotzdem kann man das größte Manko des Abends kaum überhören: Die meisten Songs werden nicht „laufen gelassen“, sondern rüde ausgefadet; das Ensemble verlässt dazu regelmäßig die Bühne. Das bedeutet jedes Mal einen unnötigen Energieverlust, zerreißt ohne Not die ansonsten durchaus zwingende Dramaturgie des Abends. Zudem tönt es über weite Strecken allzu modern-poppig (was leider heißt: vergleichsweise beliebig und zunehmend ermüdend) aus den Boxen. Dabei war ein entscheidender Pluspunkt der Bad Boys of Dance bisher gerade ihre gelungene Musikauswahl, die Evergreens mit unbekannten Perlen kombinierte, weshalb man den nächsten Songwechsel stets mit Spannung erwartete.

So sind es wiederum die Klassiker, die hervorstechen, allen voran „Rocket Man“ von Elton John, zu dem die Akteure eine mitreißend-poetische Performance aus harmonisch ineinandergreifenden Pas-de-deuxs auf die Bretter schicken. Dazu gibt es gleich dreimal Michael Jackson. Besonders gut gelingt „Beat it“, das in Gestalt von Kyle Lucia – mit Hipsterbart und wiederholtem Griff in den Schritt – die berühmtesten Posen des King of Pop kongenial zitiert. Und spätestens bei Lady Gagas „Born this Way“ ist das Publikum völlig aus dem Häuschen.

Trotzdem und der atemberaubenden Lichtregie Patrick Woodroffs zum Trotz, die allein schon die halbe Miete ist (man denke sich den ganzen körperlichen Kraftakt auf zwanzig Beinen ohne seine kongenialen Einfälle!): Von allen bisher begutachteten Produktionen – nach „Romeo & Juliet“ und einem Gastspiel der „Bad Boys of Dance“ – nimmt die Jubiläumstour lediglich Platz drei auf dem Siegertreppchen ein. Sei’s drum: Bronze ist immer noch Edelmetall. Und letztlich beweist sich einmal mehr: „Rock the Ballet“ ist nicht nur das Beste von allem, sondern etwas für jeden.

Text: Jan Hendrik Buchholz

Jan Hendrik Buchholz ist studierter Theaterwissenschaftler, Germanist sowie Publizist und lässt in verschiedenen Ensembles und als Solokünstler seit 1992 von sich hören, vorzugsweise eigenes Material. Als Rezensent schrieb er für das Onlinemagazin thatsMusical und die Fachzeitschrift "musicals". Zweieinhalb Jahre lang war er zudem Dramaturg sowie Leiter der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit am Allee Theater Hamburg, anschließend Leiter der Kommunikationsabteilung der Internationalen Händel-Festspiele Göttingen.