Foto: Dominik Lapp
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Spannende Gangstergeschichte: „Bonnie & Clyde“ in Bielefeld

Schon zu Lebzeiten erfreuten sich Bonnie und Clyde in den 1930er Jahren eines regen Interesses. Als Gangsterpaar absolut medientauglich, entwickelten sie sich schnell zu einem Mythos. Nachdem Komponisten wie Paul Graham Brown oder Joe Evans die Story des Paares für ihre jeweiligen Musicals aufgegriffen hatten, widmeten sich später auch Frank Wildhorn (Musik), Don Black (Texte) und Ivan Menchell (Buch) dem Stoff und schufen mit „Bonnie & Clyde“ ein Musical, das zwar 2011 am Broadway floppte, aber in der gerade zu Ende gehenden Spielzeit 2014/2015 am Stadttheater Bielefeld in einer wunderbaren Inszenierung zu sehen ist – spannend umgesetzt, mit abwechslungsreicher Musik und einem durchweg überzeugenden Ensemble. Ein Volltreffer.

Überraschend: Bei „Bonnie & Clyde“ erwartet den Zuschauer nicht der übliche musikalische Schmalz, für den Wildhorn so bekannt ist. Zwar gibt es auch hier einige Balladen und Herzschmerz-Duette zu hören, die ja nun mal zu einem Musical irgendwie auch dazugehören, aber eben auch Country, Blues und Gospel. Eine gelungene Stilmischung also, die aus dem Orchestergraben klingt, wo William Ward Murta seine neun Musiker zu Bestleistungen antreibt – dabei mal ganz leise, wenn Bonnie (Abla Alaoui) auf der Bühne schmachtet, dann wieder lauter, wenn der Priester (Mark Coles) mit dem Chor eine stimmige Gospelnummer schmettert.

Bonnie Parker, eine Kellnerin, die von einer Filmkarriere träumt und Clyde Barrow, ein Hitzkopf und Kleinganove, der Billy the Kid zum Vorbild hat, treffen sich in einer Kleinstadt in den Südstaaten der USA und verlieben sich ineinander. Um ihren gemeinsamen Traum vom Glück in die Realität umzusetzen, gehen sie über Leichen und enden nach zahlreichen Überfällen und Morden im Kugelhagel der Polizei. Das Ende wird im Musical vorweggenommen, denn die Show beginnt direkt mit einer Szene, in der Bonnie und Clyde, im Auto sitzend, von mehreren Kugeln regelrecht durchlöchert werden. Anschließend folgt ein zweieinhalbstündiger Rückblick auf das, was zu dem tragischen Ende führte.

Dargestellt werden die Titelfiguren in Wildhorns „Bonnie & Clyde“ wie Helden. Man fiebert, liebt und leidet mit den Protagonisten, entwickelt Sympathie für das Gangster-Liebespaar – und vergisst dabei beinahe, dass Bonnie und Clyde Verbrecher waren, auf deren Konto insgesamt zwölf Morde gingen. Was das Musical dabei ausklammert, ist der Umstand, dass das Paar nie allein handelte, sondern Teil einer Bande war. Im Stück schließt sich aber lediglich Clydes Bruder Buck, begleitet von Ehefrau Blanche, den beiden im zweiten Akt an.

Die Bühne wird vom Oak-Cliff-Viadukt dominiert, unter dem sich einst Clyde und W. D. Jones – ein im Musical nicht erwähntes Mitglied der Barrow-Bande – als Kinder kennen lernten. Das Viadukt wird in Jens Göbels Inszenierung immer wieder als Projektionsfläche eingesetzt und ermöglicht in Kombination mit der Drehbühne zudem schnelle Szenenwechsel zwischen Gerichtssaal, Gefängniszelle, Friseursalon, Wohnzimmer, Kirche oder einer Bank. Hier hat Bühnenbildnerin Julia Hattstein ganze Arbeit geleistet, um das Publikum ins Amerika der 1930er Jahre mitzunehmen. Hervorragend unterstützt wird das Bühnenbild durch die zeitgemäßen Kostüme und Requisiten sowie das ausgeklügelte Lichtdesign.

Für viele sehenswerte Szenen zeichnet in erster Linie aber Regisseur Jens Göbel verantwortlich, der sowohl intime Momente zwischen Bonnie und Clyde oder auch zwischen Blanche und Buck ebenso wie ansehnliche Ensembleszenen geschaffen hat. Als tolle Idee erweist sich zudem, dass den beiden Hauptrollen zwei jugendliche Alter Egos zur Seite gestellt wurden (toll gespielt und gesungen von Tina Haas und Fabian Kaiser), die aber leider nur zu Beginn und am Ende des Stücks zu sehen sind – hier wäre es konsequenter gewesen, die beiden Jugendlichen auch in weiteren Szenen einzusetzen.

In den Titelrollen können Abla Alaoui und Benedikt Ivo vollends überzeugen. Der Mut des Theaters, als Bonnie und Clyde keine allzu bekannten Gaststars zu engagieren, wie man es von früheren Bielefelder Musicalinszenierungen gewohnt ist, zahlt sich aus. Denn mit Alaoui und Ivo hat man zwei junge Darsteller verpflichtet, die als Gangsterpärchen optisch passen wie die Faust aufs Auge (Bonnie war erst 23, Clyde 25, als sie starben) und auch gesanglich wie schauspielerisch die Rollenprofile exakt erfüllen.

Abla Alaoui sieht als Bonnie hinreißend aus und spielt ihre Rolle mit jugendlichem Charme. Die Kellnerin, die von einer großen Filmkarriere träumt, Gedichte schreibt und sich, getrieben von Liebe, in Clydes Machenschaften hineinziehen lässt, nimmt man ihr zu jeder Sekunde ab. Auch ihren anspruchsvollen Gesangspart meistert sie mit Bravour. Benedikt Ivo steht ihr in gar nichts nach. Mit kräftiger Stimme, starker Bühnenpräsenz und gestähltem Körper gibt er einen überzeugenden Clyde, der sich mehr als Opfer denn Täter sieht; schon zu früheren Zeiten saß Clyde immer wieder – manchmal auch unschuldig – im Knast.

Jens Janke scheint der Part von Clydes Bruder Buck wie auf den Leib geschneidert. Hin- und hergerissen zwischen Ehefrau und Bruder, geplagt von Gewissensbissen, sitzt jeder Satz, jede Mimik und jede Gestik. Janke spielt die Rolle so authentisch und sympathisch, dass Bucks Tod richtig zu Herzen geht. Ebenfalls hervorragend besetzt sind Navina Heyne als Blanche Barrow und Patrik Cieslik als Polizist Ted Hinton. Heyne spielt Bucks streng gläubige Ehefrau herrlich komödiantisch und hat einen ihrer stärksten Auftritte – gemeinsem mit Abla Alaoui – beim Duett “Du liebst, wen du liebst”. Cieslik hingegen gefällt stimmlich besonders im Duett mit Benedikt Ivo, wenn Ted und Clyde davon singen, wer der perfekte Mann an Bonnies Seite ist. Mit seinem Akzent zu kämpfen hat leider Mark Coles als Priester, der in seinen beiden Gospelnummern aber mit seiner Präsenz und der tiefen sonoren Stimme trotzdem überzeugen kann, während Melanie Kreuter schauspielerisch als Bonnies liebevoll sorgende Mutter gefällt.

Äußerst gelungen ist auch die Übersetzung von Holger Hauer, der die englischen Originaltexte von „Bonnie & Clyde“ sinngemäß, ansprechend und singbar ins Deutsche übertragen hat. Und auch wenn in Fachkreisen immer wieder bemängelt wird, dass das Buch von Ivan Menchell deutliche Schwächen und Längen aufweist – was das Theater Bielefeld aus dem Werk gemacht hat, ist rundum gelungen. Da das Stück mittlerweile abgespielt ist, bleibt nur zu hoffen, dass noch andere Theater im deutschsprachigen Raum „Bonnie & Clyde“ spielen werden. Sollte dies der Fall sein, dann gern so exzellent umgesetzt wie in Bielefeld: spannend, packend, unterhaltend.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".