Foto: Dominik Lapp
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Wunderbar puristisch: „Die letzten fünf Jahre“ in Bielefeld

Jamie ist fort. Er kommt nicht zurück. Auf der Bühne steht Cathy (Roberta Valentini) vor den Scherben ihrer Ehe. Ihr Mann Jamie (Thomas Klotz) ist weg. Für immer. In den folgenden anderthalb Stunden erzählt sie dem Publikum rückwärts von den letzten fünf Jahren mit Jamie und endet beim ersten Rendezvous. Jamie hingegen stürmt himmelhochjauchzend in die Szene. Er hatte gerade sein erstes Date mit Cathy und erzählt die Geschichte vom ersten Treffen bis zur Trennung. Das kleine aber feine Kammermusical „Die letzten fünf Jahre“ von Jason Robert Brown ist am Stadttheater Bielefeld in einer wunderbaren puristischen Inszenierung von Thomas Winter zu sehen.

Ein Musical in solch einem intimen Rahmen hat das Publikum wahrscheinlich noch nicht oft erlebt. Der Aufführungsort für „Die letzten fünf Jahre“ ist nicht etwa die große Bühne, nein, sondern das Loft, eine kleine Studiobühne unter dem Dach des Theaters. Die 50 Zuschauer verteilen sich auf nur drei Reihen. Rechts neben den Zuschauerreihen ist ein Flügel platziert, an dem William Ward Murta in die Tasten haut. Die Szenerie besteht lediglich aus der schwarzen breiten Bühne, einem in Falten gehängten Vorhang an der Wand dahinter, schwarzen Stühlen, einem schwarzen Tisch, darauf ein schwarzer Einband. Als zentrales Element steht eine schwarze Tür in der Bühnenmitte. Mehr braucht es nicht, um das Zwei-Personen-Stück zu erzählen.

Es erweist sich als schlauer Schachzug von Regisseur Thomas Winter, das Musical „Die letzten fünf Jahre“ äußerst puristisch und geradezu ungeschminkt zu inszenieren. So liegt der Fokus immer auf den beiden Darstellern, die sich weder hinter einer Maske noch in ausladenden Kostümen oder Bühnenbildbombast verstecken können. Auch ihre Stimmen müssen gänzlich ohne technische Verstärkung den Abend durchstehen, denn gesungen wird ohne Mikrofon.

In 14 Songs erzählen Roberta Valentini und Thomas Klotz die Geschichte von Cathy und Jamie. Nur einmal, bei ihrer Hochzeit, treffen die beiden Charaktere wirklich aufeinander und singen ein Duett. In den anderen Nummern ist der jeweilige Darsteller immer auf sich allein gestellt – auch wenn der andere Darsteller vielleicht trotzdem mit auf der Bühne ist, dabei aber wie unsichtbar oder in einem Freeze erscheint. Es sind die kleinen Details, die diese Inszenierung so besonders werden lassen. Großartig zum Beispiel der Regieeinfall, dass Cathy, die die Geschichte ja rückwärts erzählt, einen Ehering trägt, den sie letztendlich Jamie ansteckt, wenn beide Erzählstränge bei der Hochzeitsszene aufeinandertreffen.

Unglaublich intensiv ist das Erlebnis, die Darsteller ohne Mikrofon singen zu hören – was in der Oper üblich ist, ist im Musical eher ein Novum. So wie die ganze Inszenierung, sind auch Gesang und Musik puristisch, minimalistisch, eben auf das Wesentliche beschränkt und dadurch sehr emotional und stark. Es wird nichts künstlich beschönigt. Die Tücken des nicht verstärkten Gesangs werden allerdings auch schnell deutlich: Immer dann, wenn nicht direkt in Richtung des Publikums gesungen wird, gehen die Regieanweisungen auf Kosten der Textverständlichkeit. Aber auch die leiseren Gesangspassagen drohen immer mal wieder in den lauten Klängen des Klaviers unterzugehen. Insgesamt allerdings eine tolle Idee, die Musik nicht von einer Band, sondern ausschließlich von einem Pianisten spielen zu lassen, was hervorragend zu dem intimen Rahmen dieser Inszenierung passt. William Ward Murta spielt die abwechslungsreichen Songs von Jason Robert Brown in angenehmen Tempi und mit viel Fingerspitzengefühl. Die sanftmütigen Balladen gelingen ihm auf der Klaviatur genauso großartig wie die Up-Tempo-Nummern.

Roberta Valentini ist hinreißend als Cathy. Schon von der ersten Sekunde an, bei ihrem Auftritt mit dem Solo „Ich steh’ weinend da“, zieht sie das Publikum mit ihrer starken Stimme und dem authentischen Schauspiel in ihren Bann und rührt zu Tränen. Mal klingt ihr klarer Sopran sehr gemäßigt und gefühlvoll, dann wiederum bringt sie ihre voluminöse Beltstimme sehr schön zu Gehör. Die Wandlung von der zutiefst enttäuschten, verlassenen Ehefrau zu einem Hals über Kopf verliebten Mädchen nach dem ersten Rendezvous gelingt ihr spielend. Mit Cathys Auditionszene sorgt sie zudem für einen der wenigen Lacher des Abends.

Thomas Klotz hat dagegen die nicht weniger herausfordernde Aufgabe, den frisch verknallten Jamie zum treulosen Ehemann werden zu lassen. Die emotionale Entwicklung seiner Rolle gelingt ihm gut und auch gesanglich glänzt er absolut souverän. Mit dem „Lied von Schmuel“ hat er zudem eine äußerst witzige Szene, die das Publikum sehr wohlwollend mit Szenenapplaus honoriert.

Nach knapp 90 Minuten voller Emotionen brandet ziemlich schnell der Schlussapplaus auf für die beiden Darsteller und ihren Pianisten. Mit dem Musical „Die letzten fünf Jahre“ ist dem Stadttheater Bielefeld auch fernab seiner großen Bühne eine besonders wertvolle und vor allem kurzweilige Musicalinszenierung gelungen, die in ihrer minimalistischen und puristischen Art hervorragend in das Loft des Theaters passt. Manchmal ist weniger eben mehr.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".