Freilichtspiele Tecklenburg (Foto: Dominik Lapp)
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Phänomenal inszeniert: „Rebecca“ in Tecklenburg

Darauf hat die Musicalszene lange warten müssen: Seit sich das Musical „Rebecca“ von Sylvester Levay (Musik) und Michael Kunze (Buch/Text) im Januar 2013 aus dem Stuttgarter Palladium Theater verabschiedet hat, war es von deutschen Bühnen komplett verschwunden und feierte jetzt, viereinhalb Jahre später, bei den Freilichtspielen Tecklenburg in einer phänomenalen Neuinszenierung von Andreas Gergen Premiere. Zum ersten Mal ist das Stück damit unter freiem Himmel zu sehen – und die Tecklenburger Naturkulisse passt ausgesprochen gut zu dem Stück.

Generell darf man wohl sagen, dass Gergen „Rebecca“ nahezu neu erfunden hat und seine Inszenierung durchaus sehenswerter ist als die Produktionen in Stuttgart oder Wien. Er legt nicht nur eine hervorragende Personenregie an den Tag, sondern beweist auch ein exzellentes inszenatorisches Verständnis, indem er die so genannten Schatten geschaffen hat – eine Reihe Darsteller, die in schwarzen Kostümen immerzu und ein wenig bedrohlich in einzelnen Szenen zu sehen sind. Es sind die Schatten der Vergangenheit, die über allem schweben, die in der Monte-Carlo-Szene auch schon mal zu Tischen werden, in der Bootshaus-Szene den Tod Rebeccas darstellen oder als Marionettenspieler agieren, um die Handlung in die richtigen Bahnen zu lenken.

Im Zusammenspiel von Ensemble und Chor, unterstützt durch die zeitgemäßen Kostüme von Karin Alberti, entstehen so im wandlungsfähigen Bühnenbild von Susanna Buller ganz große Bilder von opulenter Schönheit, deren i-Tüpfelchen das ausgeklügelte Lichtdesign ist. Ein Highlight ist dabei die Strandgut-Szene im zweiten Akt, bei der die Bühne in dunkelblau-türkises Licht getaucht ist, Ensemblemitglieder und Chorsänger mit Taschenlampen durch die Szenerie stürmen und durch gezieltes Bücken immer wieder den Solisten, angestrahlt durch die Taschenlampen, Platz für ihre Dialoge geben. Dabei entsteht eine atemberaubende Dynamik, die ihren Höhepunkt darin findet, wenn die Mitwirkenden schließlich auch in den Zuschauerraum laufen.

Ein besonderer Kniff ist Andreas Gergen außerdem in der Gerichtsszene im zweiten Akt gelungen, in der sich Maxim de Winter immer weiter in Widersprüche verstrickt, was für das Publikum durch Stricke visualisiert wird, in denen sich Maxim zusehends immer stärker verheddert. Ob Schatten oder Stricke – Gergen erweist sich bei „Rebecca“ erneut als Schöpfer großer Bilder und Symboliken, was auch in der Nummer „Die lieben Verwandten“ deutlich wird, wenn die Solisten von den Schatten vor einem überdimensionalen Bilderrahmen platziert werden. Und selbst für Rebeccas Tod hat der Regisseur eine eigene Interpretation gefunden, die sich sowohl an der Romanvorlage als auch an der Verfilmung orientiert.

Sehen und hören lassen können sich auch die Solisten: Jan Ammann in der Rolle von Maxim de Winter ist absolut typgerecht besetzt. Er spielt den englischen Edelmann mit starker Bühnenpräsenz, trockenem Humor und einer überwältigenden Ausstrahlung. Er versteht es, sowohl die charmante als auch die mystische, verzweifelte Seite Maxims zu zeigen – und gesanglich versteht er es ohnehin, das Publikum vollends zu vereinnahmen. Den Titel „Zauberhaft natürlich“ interpretiert er noch warm und gefühlvoll, ja regelrecht verliebt-verzaubert, um dann später bei „Kein Lächeln war je so kalt“ mit expressiver Stimme hervorzupreschen.

Als wahrer Fels in der Brandung erweist sich Pia Douwes als Mrs. Danvers. Sie gibt die Haushälterin mit einer unglaublichen Kälte, die selbst bis in die hinteren Zuschauerreihen spürbar ist. Genauso spürbar ist aber auch die fanatische Liebe, die Mrs. Danvers für ihre Herrin Rebecca empfunden haben muss. In ihrem Solo „Sie ergibt sich nicht“ sowie im Titelsong überzeugt Douwes wie gewohnt mit brillantem Gesang. Doch die wahre Höchstleistung zeigt sie in ihrer unnachahmlichen Mimik und im meisterlichen Schauspiel, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Gänsehautstimmung!

Ein weiterer Star der „Rebecca“-Inszenierung ist Milica Jovanovic als „Ich“. Im Verlauf der Handlung macht ihre Rolle die größte charakterliche Entwicklung durch. Der Wandel vom naiven schüchternen Mädchen zur starken Frau, die es schafft, sich gegen die dominante Haushälterin durchzusetzen, gelingt Jovanovic mit Bravour. Gesanglich fasziniert sie mit ihrer mädchenhaft-bezaubernden und sicher geführten Stimme insbesondere in den Songs „Ich hab geträumt von Manderley“ und „Zeit in einer Flasche“.

Solide in Darstellung und Gesang ist auch Roberta Valentini als Beatrice, genauso wie Thomas Hohler als Frank Crawley, der den Song „Ehrlichkeit und Vertrauen“ mit viel Gefühl singt und in seiner Darstellung keinesfalls enttäuscht. Nicht vergessen werden darf zudem Robert Meyer, der den Part des klassischen Bösewichts perfekt ausfüllt und die Chance hervorragend nutzt, Rebeccas unsympathischen Cousin und Liebhaber als schmierigen Fiesling („Eine Hand wäscht die andere Hand“) darzustellen. Einen gelungenen Kontrast zu der insgesamt sehr düsteren Handlung stellt Anne Welte als exzentrische Mrs. van Hopper dar. Sie beweist einmal mehr, dass ihr das komödiantische Fach liegt und liefert eine hörenswerte Interpretation von „I’m an American Woman“, für die sie völlig verdient mit Szenenapplaus bedacht wird.

Doch für Glanzstunden sorgen nicht nur Inszenierung und Darsteller, sondern in höchstem Maße auch das fabelhafte 28-köpfige Orchester unter der versierten Leitung von Tjaard Kirsch. Seine langjährige Erfahrung kommt Kirsch dabei zugute, wenn er seine Musiker perfekt durch die teilweise recht komplexe Partitur von Sylvester Levay leitet. Levays Musik, so schlagerhaft sie vereinzelt klingen mag, fügt sich wie ein Soundtrack bei einem Kinofilm in den Handlungsverlauf ein und treibt die Story pausenlos voran. Der Titelsong als Leitmotiv zieht sich dabei wie ein roter Faden durch den Abend und hat wie so viele andere Nummern Ohrwurmqualität. Diese groß orchestrierte Musik von solch einem großen, tadellos spielenden Orchester hören zu dürfen, stellt hierzulande schon ein Novum dar, saßen in Stuttgart doch weitaus weniger Musiker im Orchestergraben.

So ist den Freilichtspielen Tecklenburg mit der Neuinszenierung von „Rebecca“ wieder einmal ein Meisterstück gelungen, dessen Erfolg ganz klar in den Händen von Andreas Gergen liegt. Diesen Bühnenthriller von Michael Kunze und Sylvester Levay muss man unbedingt gesehen haben!

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".