„Mary Poppins“ Foto: Stage Entertainment
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Düsterer als der Disney-Film: „Mary Poppins“ in Hamburg

Wohl ein jeder kennt Disneys fliegendes Kindermädchen. Doch wer den Film „Mary Poppins“ mit Julie Andrews aus dem Jahr 1964 kennt, sollte sich darüber im Klaren sein, dass die Musicaladaption, die im Theater an der Elbe in Hamburg zu sehen ist, in einigen Punkten vom Film abweicht. Denn obwohl das Musical den Disney-Stempel trägt und sich an der Handlung des Films orientiert, wurden einige Szenen verändert und die Titelrolle im Musical wesentlich strenger angelegt, wodurch das Stück viel näher an der Romanvorlage als am Film ist.

Doch mag sie noch so streng sein: Elisabeth Hübert ist in der Rolle des Kindermädchens Mary Poppins wirklich zauberhaft. Wenn sie am Schluss mit ihrem Regenschirm über die Köpfe der Zuschauer hinwegfliegt, gelingt ihr damit ein ganz großer Moment, der wahrhaft zu Tränen rührt. Doch auch schon zuvor gehören ihr zahlreiche große Momente, wenn sie einerseits die strenge Nanny gibt und dann doch wieder so liebevoll und herzlich ist. Noch dazu singt sie ganz hervorragend mit glockenklarer, herzerwärmender Stimme. Es bereitet unheimlich viel Freude, Elisabeth Hübert als Mary Poppins zu sehen, weil alles perfekt passt: Mimik, Gestik, Optik und Stimme.

David Boyd in der Rolle des Bert ist ihr dabei ein durchaus ebenbürtiger Bühnenpartner und definitiv der Publikumsliebling neben der Titelrolle. Als eine Art Erzähler führt er sympathisch durch die Show, in dem er die Rolle eines Popcornverkäufers, Schornsteinfegers oder Straßenkünstlers einnimmt. Begeistern kann er nicht nur gesanglich mit Nummern wie „Chim-chim-cheree“, sondern ebenso tänzerisch, wenn er kopfüber steppend am oberen Rand des Bühnenportals hängt, wofür er vom Publikum gefeiert wird.

Diese Szene oder auch die Schlussszene, in der Mary Poppins mit ihrem Regenschirm quer durch den Zuschauerraum fliegt, sind genau das, wofür Disney-Musicals bekannt sind. Schade nur, dass eine der schönsten Szenen des Films im Musical nicht vorkommt: Im Park, wenn Bert mit Mary und den Kindern in einem Bild verschwindet, um dort mit Pinguinen Tee zu trinken und auf Karussellpferdchen um die Wette zu reiten.

Im Musical erwachen in der soliden Inszenierung von Richard Eyre unter der Neueinstudierung von James Powell stattdessen die Statuen im Park zum Leben und ein überdimensionales Schwarzweiß-Bild von Bert wird in Farbe getaucht. Dies geschieht aber nicht mehr wie in der niederländischen Inszenierung mittels Licht- und Videoprojektion, sondern durch das Aufklappen von Bühnenteilen an den Gassen. Eine zweckdienliche Lösung, die ihren Effekt nicht verfehlt, aber für Disney doch etwas lahm wirkt. Mit Szenen wie dem Aufstand der Spielzeugfiguren oder dem Kampf zwischen Mary Poppins und Miss Andrew distanziert sich das Musical zudem weiter von der Filmvorlage und gibt dem Bühnenstück einen wunderbar düsteren Touch.

Neben den bereits erwähnten beiden Hauptdarstellern seien in der Riege der Darsteller noch Milica Jovanovic als Winifred Banks und Livio Cecini als George Banks positiv erwähnt. Vor allem Jovanovic verleiht ihrer Rolle ein glaubwürdiges Profil und singt gewohnt hervorragend. Doch ihren Bühnenpartner vermag sie nicht in den Schatten zu stellen: Livio Cecini ätzt und motzt sich durch die Handlung und gibt einen hinreißend griesgrämigen Banker, dem sein Job wichtiger als die eigene Familie zu sein scheint. Wenn er schlussendlich die Wandlung zum liebevollen Familienvater vollzieht, der für seine Familie einsteht, gelingt ihm das äußerst anrührend.

Auch die Besetzung der weiteren Rollen ist durchweg positiv gelungen. So hat Maaike Schuurmans als Miss Andrew zwar nur eine kleine Rolle, die sie aber sehr gut mit diabolischer Bühnenpräsenz auszufüllen weiß. Das Aufeinandertreffen von Miss Andrew und Mary Poppins erweist sich deshalb als starker Showdown. Herrlich komisch im Zusammenspiel sind Heike Schmitz als Mrs. Brill und Niklas Abel als Robertson Ay, während Betty Vermeulen als Vogelfrau gefällt, Dirk Lohr souverän in seiner Doppelrolle als Admiral Boom sowie Generaldirektor der Bank agiert und Maik Lohse als sächselnder Parkwächter für einige Lacher sorgt.

In der besuchten Premierenvorstellung werden die Rollen von Jane und Michael Banks von Marjan (ohne Nachname) und Liam (ohne Nachname) gespielt. Die beiden begabten Kinder, die fast während des gesamten Stücks zu sehen sind und erstaunlich viel Text haben, stehen den erwachsenen Darstellern in nichts nach, sind schauspielerisch authentisch und können gut singen.

Die bereits aus dem Film bekannte Musik von Richard M. und Robert B. Sherman wurde auch für das Musical verwendet. Ein paar wenige Songs wurden zwar gestrichen, dafür jedoch durch neue Stücke von George Stiles und Anthony Drewe ergänzt. Der Score erweist sich durchaus als zweckdienliche Theatermusik, um die Handlung zu transportieren, doch neben den bekannten Ohrwürmern aus dem Film gibt es keine weiteren nennenswerten Nummern. Dem versierten Dirigat von Christoph Bönecker ist es zu verdanken, dass musikalisch wirklich alles rund klingt. Er leitet seine Musiker und Sänger hervorragend an und beweist einmal mehr, wie wichtig ein Live-Orchester gerade auch im kommerziellen Musical ist. Neben der homogen agierenden Cast sind die Musiker im Graben die Stars des Abends.

Weitere Pluspunkte der Show sind die zeitgetreuen Kostüme sowie das Bühnenbild von Bob Crowley. Herzstück bildet dabei das Haus der Familie Banks, das einem überdimensionalen Puppenhaus gleicht, aufgeklappt werden kann und sich um die eigene Achse dreht. Dabei gibt es den Blick auf das Treppenhaus, in den Salon, die Küche und das Kinderzimmer frei. Bei den Kostümen sind ganz besonders die Laternenanzünder zu erwähnen, deren Outfits mit rund 6.000 Swarovski-Sternen bestückt sind. Ebenso sehenswert ist die Choreografie von Matthew Bourne, die in Hamburg von Geoffrey Garratt neu einstudiert wurde und viele verschiedene Tanzstile miteinander vereint.

Im Vergleich mit anderen Disney-Musicals ist „Mary Poppins“ vielleicht eines der schwächeren Stücke aus der amerikanischen Hitfabrik, was besonders dem teilweise schwachen Buch und dem ersten Akt anzulasten ist, der sich zeitweise wie Kaugummi zieht. Auf der Habenseite sind aber tolle Szenenbilder, hervorragende Darsteller und die fabelhafte Leistung des Orchesters. Als zauberhaftes Musical für die ganze Familie also durchaus geeignet – so verwundert es auch nicht, dass das Publikum lang anhaltenden Applaus spendet.

Text: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".