Christian Schöne Foto: Dominik Lapp
  by

Interview mit Christian Schöne: „Bühnenarbeit ist immer Teamwork“

Christian Schöne ist als Musicaldarsteller von den deutschsprachigen Bühnen nicht mehr wegzudenken. Er spielte in Musicals wie „3 Musketiere“, „Les Misérables“, „Die Päpstin“ oder „Artus – Excalibur“. Durch seine Teilnahme an einer TV-Castingshow erreichte er ein breiteres Publikum, es folgten CD-Veröffentlichungen und später die Rückkehr zum Musical. Im Interview spricht er über seine Rollen im Musical „Der Medicus“ und im Pop-Oratorium „Luther“, aber auch darüber, welchen Wandel er als Künstler vollzogen hat und warum er eine gewisse Schublade im Musical bedienen muss.

Im Musical „Der Medicus“ spielen Sie Karim/Schah. Was ist das für ein Doppel-Charakter?
Bei uns im Musical sind Karim und der Schah ja ein und dieselbe Person, was in der Romanvorlage nicht so ist. Ich habe das Stück letztes Jahr nicht gesehen und hatte dieses Jahr eine knackige Probenzeit von zwei Wochen – und da habe ich mir die Rolle dann anhand des Skriptes angeeignet und man hat mir auch relativ freie Hand gelassen. Je länger wir gespielt haben, desto mehr bin ich aber darauf gekommen, wie dieser Charakter eigentlich ist. Es gibt selbstverständlich Vorgaben: Karim ist an der Madrassa, kommt aus gutem Haus, er soll Medizin studieren und Medicus werden. Er ist etwas behäbig und faul, aber nicht dumm. Er hat einfach nicht so die Lust und macht andere Sachen an der Madrassa. Er stibitzt Medikamente und vertickt sie, er ist vorlaut und selbstbewusst. Trotzdem ist er dabei sehr sympathisch. Das muss auch so sein, denn nur so kann sich die Freundschaft zwischen ihm, Mirdin und Rob entwickeln.

Und was für einen Charakterwechsel macht Karim zum Schah durch? Was ändert sich an ihm?
In dem Moment, als Karim zum Schah wird, möchte ich als Darsteller herausstellen, dass er mit seiner neuen Aufgabe überfordert ist. Er stellt sich dieser neuen Herausforderung und übernimmt vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben wirklich Verantwortung. Aber die Weichen sind noch nicht gestellt und er weiß noch nicht, worauf er sich einlässt. Das wächst von Szene zu Szene. Er hat im Palast – wo er vorher schon gewohnt hat – plötzlich eigene Bedienstete, deren Herr er ist und verliert sich in dieser neuen Situation. Er lernt die Spielregeln kennen und will mit Kriegsführung viel erreichen. Es ist eine Gratwanderung – er darf nicht unsympathisch wirken, aber man muss ihm trotzdem abnehmen, dass er erfolgsverwöhnt ist und auf einem hohen Ross sitzt.

Als Schah zeigt Karim eine wesentlich aggressivere Seite als vorher. Ist er böse?
Er ist kein klassischer Bösewicht. Das finde ich auch ganz gut, weil ich da ja schon durch frühere Rollen etwas vorbelastet bin. Wenn er ein reiner Bösewicht wäre, wäre er einfach nur bestialisch. Aber im Grunde durchzieht das ganze Stücke die Freundschaft zwischen Karim, Mirdin und Rob. Und das muss Bestandteil bleiben. Andernfalls würde es zerbrechen. Dann hätte man einen starken Song oder ein starkes Bild, aber es wäre nicht mehr glaubwürdig. Er ist auf keinen Fall böse, er ist lediglich fremdgesteuert. Am Anfang ist er für mich sehr suchend in der Madrassa, weil sich seine Verwandtschaft nicht um ihn kümmert. Sie geben ihm zwar Geld, aber er ist auf sich allein gestellt. Als er Schah wird, begreift er, dass er das Alphamännchen sein muss, weil er auch entsprechenden Druck von außen spürt.

An Ihren Ausführungen merkt man, dass Sie sich viele Gedanken über Rollengestaltung machen. Wie haben Sie sich auf Ihren Part in „Der Medicus“ vorbereitet?
Den Roman habe ich gar nicht gelesen. Ich habe damals „Die Päpstin“ gelesen und daraus gelernt, dass mir der Roman für die Musicalfassung gar nichts gebracht hat. Beim „Medicus“ habe ich das Skript gelesen und mir einen Mitschnitt der Inszenierung angesehen. Ich habe mich also an der Version orientiert, die in Fulda stattfindet, ohne mich im Roman zu verankern – zumal Karim und der Schah dort ja auch zwei Personen sind. Also was hätte ich da mitnehmen sollen? Ich glaube, es ist sehr viel in meinem Kopf abgegangen. Es war für mich eine Rückkehr nach Fulda, eine Rückkehr zu Spotlight Musicals, eine Rückkehr in eine Hauptrolle und meine bislang größte Hauptrolle in einem Spotlight-Musical.

Wo Sie gerade das Thema Rückkehr ansprechen: Was hat sich geändert im Vergleich zwischen damals und heute?
Vor ein paar Jahren habe ich definitiv anders gespielt. Heutzutage stelle ich den Anspruch an mich selbst, so eine Rolle in einem Musical vielschichtiger zu spielen. Deshalb habe ich mich auch sehr gewissenhaft vorbereitet, weil die Angst zu versagen existierte. Es hätte ja sein können, dass meine Darstellung nicht gut oder zu eigen rüberkommt oder dass ich meinen Kollegen Andreas Wolfram kopieren muss.

Sie spielen den Karim/Schah zumindest anders als Andreas Wolfram.
Ja, das ist mir auch total wichtig. Andreas und ich sind zwei grundverschiedene Typen, nicht nur äußerlich. Das kann ich beurteilen, weil wir auch in anderen Produktionen spielen. Ich kenne ihn und er ist in der Darstellungsweise ganz anders als ich. Und es hieß auch von Anfang an, dass jeder seinen eigenen Karim spielen und Schah finden muss. Davon profitiert so ein Stück und für uns Darsteller ist es ein Geschenk, wenn man nicht in ein Korsett gezwängt wird, sondern frei arbeiten kann.

Früher haben Sie sich mal darüber beschwert, dass Sie oft nur für den Bösewicht besetzt werden. Kommt es Ihnen entgegen, dass dem nicht mehr so ist?
Ja, sehr. Ich muss aber auch sagen, dass ich damals künstlerisch einen ganz anderen Horizont und Kenntnisstand hatte. Ich wollte damals nicht in einer Schublade stecken und hatte nicht realisiert, dass das ab und zu auch mal ganz gut sein kann. Ich habe das Gefühl, dass man als Musicaldarsteller gerade in Deutschland eine gewisse Schublade bedienen muss, um im Gespräch zu bleiben. Das wollte ich damals aber noch gar nicht. Das war mir zu langweilig, ich wollte auch mal Sympathieträger sein. Außerdem hatte ich damals die falschen Leute um mich herum, die mir Druck gemacht haben. Das war fürchterlich. Früher bin ich von der Bühne gegangen und war kraftlos. Heute gehe ich von der Bühne und habe Kraft. Mittlerweile bin ich viel entspannter. Es ist viel passiert in meinem Leben, es gab einen riesigen Einschnitt durchs Fernsehen. Jetzt habe ich alles neu geordnet und denke, dass ich heutzutage der bessere Darsteller bin, weil ich anders arbeite. Das ist für mich und alle Beteiligten viel besser.

Gehen wir jetzt von Isfahan einmal nach Worms: Im Pop-Oratorium „Luther“ sind Sie unter anderem als Faber zu sehen. Was ist so reizvoll an dem Stück und dieser Rolle?
Das Pop-Oratorium „Luther“ ist sehr groß und pompös. Wir haben es vor 10.000, vor 5.000 oder auch vor 300 Zuschauern gespielt – egal wie klein der Veranstaltungsort auch ist, das Stück an sich ist schon sehr gewaltig. Die Musik und die Szenen sind wirklich bombastisch. Ach, das ganze Thema, das Konzept und die Substanz sind bombastisch. Was Faber betrifft, finde ich, dass das eine schillernde Rolle ist, die sehr gut geschrieben wurde. Die Rolle wird im Stück gut erklärt und hat knackige, unmissverständliche Passagen. Er kann zwar nicht große Vielschichtigkeit zeigen, weil es alles nur Reflektionen von Martin Luther sind. Aber der Faber macht auch eine tolle Entwicklung durch, was man als Darsteller extrem gut zeigen kann. Er hat seinen Glauben und ist der Gegner von Luther und seinen Thesen. Allein der Gegenspieler von einer Person wie Luther sein zu dürfen, ist grandios. Faber ist ein wunderbarer Gegenpol zu Luther – nur dadurch funktioniert es.

In der EmslandArena in Lingen wird es sicher spannend, wenn Sie als Faber den Gegenpol zu Chris Murrays Luther bilden.
Ja, das fixt mich natürlich total an. Chris Murray ist ein wirklich lieber Kollege, den ich sehr schätze. Und er ist auf der Bühne eine echte Urgewalt. Das Zusammenspiel wird sicher sehr gewaltig. Darauf freue ich mich sehr.

Inwiefern haben Sie sich mit Luther oder der Reformation auseinandergesetzt?
Ich hatte einige Berührungspunkte mit Luther. Unter anderem war das ein Thema während des Abiturs, wo ich mich mit Martin Luther auseinandersetzen musste. Ich habe mich auch später in das Thema eingelesen, weil ich mal für eine andere Luther-Produktion vorgesehen war. Aber im Grunde ist es gar nicht so wichtig, ob ein Luther, eine Elisabeth oder ein Mozart im Mittelpunkt der Handlung steht. Es kommt auf die zu transportierende Aussage an und darauf, ob ein Stück gut geschrieben wurde. Und das ist bei dem Pop-Oratorium der Fall.

Und was ist Ihnen besonders wichtig, wenn Sie eine Rolle spielen?
Man darf sich hinter einer Rolle nicht verstecken. Eine Rolle ist wie ein Kostüm, das im Schrank hängt. Man muss es anziehen. Wenn man es nicht anzieht, ist die Rolle nicht existent. Ich muss aber eine Eigenständigkeit, sowohl stimmlich als auch schauspielerisch, mitbringen. Wenn ich eine Rolle ausfüllen kann und will, dann verschmelzen Gesang und Schauspiel. Das ist mir wichtig. Letztendlich ist es schwierig für alle Beteiligten, wenn man nur sich selbst darstellt. Damit lässt man seine Kollegen im Stich, denn Bühnenarbeit ist immer Teamwork.

Interview: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".