Benjamin Oeser (Foto: Dominik Lapp)
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Interview mit Benjamin Oeser: „Mit meiner Rolle steht und fällt das Stück“

Benjamin Oeser absolvierte ein Schauspiel- und Musicalstudium, war Ensemblemitglied am Landestheater Oberpfalz und an den Uckermärkischen Bühnen Schwedt. Im Musicalbereich feiert er inzwischen einen Erfolg nach dem anderen. So stand er bereits kurz vor Abschluss seines Musicalstudiums als Edward Bloom in der europäischen Erstaufführung von „Big Fish“ in München auf der Bühne. Es folgten Engagements in Musicals wie „Linie 1“ und „Spamalot“, er spielte im Pop-Oratorium „Luther“ und wirkte bei der Uraufführung von „Matterhorn“ in St. Gallen mit. Am Musiktheater im Revier in Gelsenkirchen steht Benjamin Oeser aktuell wieder als Edward Bloom in „Big Fish“ auf der Bühne. Im Interview spricht der sympathische Künstler über diese große Rolle und darüber, wie er sie erarbeitet hat.

Sie haben Edward Bloom im Musical „Big Fish“ bereits bei der europäischen Erstaufführung in München gespielt. War das ein Vorteil für die Probenarbeit in Gelsenkirchen?
Zu einem gewissen Teil war es schon einfacher. Ich bin dadurch generell schneller reingekommen in den Probenprozess, weil ich nicht mehr danach suchen musste, wie die Rolle, die Körperlichkeit und die Stimme sind. Wie sich die Rolle in den Szenen verhält, musste ich nicht neu erörtern, weil alles schon mal da war. Ich habe aber versucht, die Rolle neu zu finden und anders anzulegen, damit es nicht wie abgespult wirkt. Man muss sich neu finden in der Rolle, neue Impulse und Anreize suchen und dem Regisseur neue Angebote machen, damit es frisch und neu wirkt. Das war am Anfang sogar ein bisschen schwierig für mich, weil ich natürlich einige Sachen genauso gemacht habe wie damals in München. Aber unser Regisseur Andreas Gergen hatte seine Augen darauf und sagte mir immer wieder, dass ich den Fokus nicht verlieren und nach neuen Dingen graben sollte. Trotzdem war ich in Gelsenkirchen viel entspannter in den Proben als in München. Die Selbstsicherheit und meine gesammelten Erfahrungen haben mir sehr geholfen.

Was ist die größte Herausforderung an der Rolle des Edward Bloom?
Stimmlich ist es eine große Herausforderung, weil ich zehn Lieder zu singen habe. Aber auch schauspielerisch ist es eine Herausforderung, weil ich Edward Bloom in verschiedenen Altersklassen spielen muss. Ich spiele ihn als Teenager, als 25-jährigen, 35-jährigen und 60-jährigen Mann. Da muss ich also die entsprechende Körperlichkeit reinbringen und die stimmliche Note ein bisschen verändern, ohne dass es künstlich oder übertrieben wirkt. Es gilt dabei, den Abend stimmlich und körperlich durchzuhalten. Dazu brauche ich einen klaren Fokus und einen guten Energiehaushalt, weil ich das Stück trage. Mit meiner Rolle steht und fällt das Stück, deshalb ist eine ganz große Präsenz gefragt. Deswegen teile ich meine Energie so ein, dass ich den ganzen Abend strahle und sichtbar bin. Andreas Gergen sagt dazu immer, dass man bis in die letzte Reihe senden muss.

Was brauchen Sie gerade in schauspielerischer Hinsicht für die Rolle?
Man braucht als Schauspieler Ehrlichkeit. Wir haben in „Big Fish“ viele übertriebe Szenen in Edwards Traumwelt und Fantasie, in der natürlich viele Figuren überzogen sind. Aber es gibt auch die realen Szenen, in denen man sehr zurückgeht und einfach nur erzählt. Dafür braucht man eine gewisse Ehrlichkeit, um die beiden Ebenen voneinander trennen zu können, damit die Zuschauer den Unterschied zwischen fiktiver und realer Welt wahrnehmen. Eine große Ernsthaftigkeit ist wichtig, weil es nur dann spannend für die Zuschauer ist.

Benjamin Oeser (Foto: Dominik Lapp)

Vor Ihrem Musicalstudium haben Sie Schauspiel studiert und als Schauspieler gearbeitet. War das ein Vorteil?
Auf jeden Fall. Das hat mir geholfen und hilft mir immer noch. Natürlich ist es nicht einfach, mit knapp 30 Jahren einen 60-Jährigen zu spielen. Es gibt keine Maske, hinter der man sich verstecken kann. Ich habe nur die Stimme und Körperlichkeit, mit der ich einen alten Mann darstellen kann. Und dabei ist mir meine Schauspiel-Erfahrung ganz sicher zugutegekommen.

Haben Sie zur Rollenvorbereitung den Film „Big Fish“ von Tim Burton gesehen?
Ja, in München habe ich den Film recht oft gesehen. Ich war damals noch Student an der Theaterakademie August Everding. Und als feststand, dass wir „Big Fish“ spielen würden, habe ich mir den Film angesehen. Im Film wird Edward Bloom von zwei Schauspielern, einem jungen und einem alten, gespielt. Deswegen war ich recht erstaunt, als ich realisiert habe, dass die Rolle im Musical von einem Darsteller allein gespielt wird. Ich dachte nur: Oh krass, wie mache ich das nur? Ich hatte wirklich riesigen Respekt vor dieser Aufgabe. Allerdings bin ich auch nicht so krass, dass ich mich total akribisch vorbereite. Natürlich lerne ich meinen Text, bereite meine Songs vor und probiere mit der Stimme und der Körperlichkeit, aber ich muss beispielsweise nicht ein Seniorenheim besuchen, wenn ich einen Mann spiele, der Alzheimer hat. Fürs Rollenstudium sind Proben da, und dafür gibt es einen Regisseur, mit dem man das erarbeiten kann.

Edward Bloom ist ein Träumer und Geschichtenerzähler, er ist der Held seiner Geschichte. Ist Benjamin Oeser auch ein Held in seiner Geschichte?
Wow, das ist ja eine krasse Frage. Also wirklich eine interessante Frage. Also natürlich ist jeder ein stückweit seines Glückes Schmied. Na ja, oder fast jeder. Es kommt dabei darauf an, wo man geboren wurde, in welchem Land und auf welchem Kontinent. Aber gerade in Deutschland haben wir viele Möglichkeiten, um etwas aus sich zu machen. Wir können kostenlos zur Schule gehen, wir können studieren, wir leben in einem sicheren Land – das ist alles sehr viel wert. Deshalb denke ich, dass man hier aus eigener Initiative viel aus sich machen kann. Sicher gehört auch mal Glück dazu, oder man muss die richtigen Connections haben. Aber mit Selbstbewusstsein, Ehrgeiz und Fleiß kann man wirklich etwas erreichen. So kann man seine Ziele erreichen, und ich denke auch, dass ich so ein stückweit meine Lebensgeschichte schreibe. Es ist ja tatsächlich so, wie in „Big Fish“ am Anfang gesungen wird, dass man selbst der Held seiner Geschichte sein kann, weil man – ohne sich von Dritten beeinflussen zu lassen – durchaus seinen eigenen Weg gehen und seine Persönlichkeit entwickeln kann. Du kannst ausbrechen und dein Ding machen. Und das ist auch das, was ich bisher gemacht habe. Wenn man sich meine Vita anschaut, sieht man, dass Benjamin Oeser klein angefangen hat – an einer kleinen privaten Schauspielschule. Das ist gute zehn Jahre her, und ich würde diesen Weg immer wieder so gehen. Nach der Schauspielausbildung hatte ich den Mut, mich für das Musical-Masterstudium an einer staatlichen Akademie zu bewerben. So kam für mich die ganze Musical-Maschinerie in Bewegung. Um also auf die eigentliche Frage zurückzukommen, denke ich schon, dass ich in meinem eigenen Kosmos sicherlich der Held in meiner Lebensgeschichte bin. Ich forme meinen Lebensweg selbst und kann es zum Teil auch beeinflussen, wie sich der Weg für Benjamin Oeser entwickelt.

Wie kam es bei Ihnen eigentlich zur Entwicklung vom Schauspiel zum Musical? Hatten Sie schon immer ein Interesse an Gesang?
Ich habe früher schon im Jugendchor gesungen und in der Schule viel Theater gespielt. Unsere Schule prägte ein künstlerisch-musikalisches Profil, so dass wir viele Projekte hatten, in denen wir Schüler involviert waren. Und da hatte man mir schon gesagt, dass ich gut singen könne. Ich habe später auch auf Familienfeiern gesungen und wurde als kleiner Junge sogar mal vom Leipziger Thomanerchor und dem Dresdner Kreuzchor angefragt. Aber das habe ich mich damals nicht getraut. Ursprünglich wollte ich auf eine Musicalschule, war aber zunächst davon abgeschreckt, was man alles mitbringen sollte: Singen, Tanzen, Notenlesen, ein Instrument spielen, Choreografien vorbereiten. Das hatte mich erst mal abgeschreckt. Ich wusste, okay, du kannst singen und spielen. Also habe ich mir Schauspiel als Alternative gesucht, was wirklich eine gute Entscheidung war. Während der Schauspielausbildung hatten wir Gesangsunterricht, und da wurde mir gesagt, dass doch auch Musical etwas für mich sei. Witzigerweise habe ich dann als erste halbprofessionelle Rolle den Ren in „Footloose“ gespielt und erkannt, dass ich es wirklich cool finde, wie im Musical Schauspiel, Gesang und Tanz miteinander verschmelzen.

Interview: Dominik Lapp

Dominik Lapp ist ausgebildeter Journalist und schreibt nicht nur für kulturfeder.de, sondern auch für andere Medien wie Lokalzeitungen und Magazine. Er führte Regie bei den Pop-Oratorien "Die 10 Gebote" und "Luther" sowie bei einer Workshop-Produktion des Musicals "Schimmelreiter". Darüber hinaus schuf er die Musical-Talk-Konzertreihe "Auf ein Wort" und Streaming-Konzerte wie "In Love with Musical", "Musical meets Christmas" und "Musical Songbook".